Hebammensuche in einer Großstadt

Erst wird man ewig nicht schwanger, dann ist man endlich schwanger und in der Zeit, in der mein Pinkeltest noch trocken wurde, stürzten die anderen werdenden Mütter wohl schon ans Telefon und wählten wahllos die Nummer diverser Hebammen.

Ich tippe diese Zeilen während ich mich in der 6. Schwangerschaftswoche befinde. Das heißt, ich weiß erst seit gut einer Woche, das ich schwanger bin. Davor war es einfach nicht festzustellen. So eine Eizelle möchte sich ja nun auch in Ruhe einnisten und ein kuscheliges Plätzchen finden.

Als ich meinen Termin beim Frauenarzt hatte und ich das Attest zum Nichtstun in die Hand gedrückt bekam, hatte ich erstmal viel Zeit. Was ich nun tat, war als erstes natürlich sämtliche Onlineshops zu durchstöbern, denn es sind ja nur noch neun Monate bis das Baby kommt und dann möchte man’s doch hübsch haben daheim. Als das nach gut zwei Tagen erledigt war, hielt ich nach einer Hebamme Ausschau. Ich schreib einer, die ich aber nicht besonders sympathisch fand (das Bild sprach Bände) und sollte auch bei Ihren Emails recht behalten. Feldwebelartig gab sie mir dies und das zu bedenken, sie diktierte ihre Konditionen und meine Pflichten, die ich zu erfüllen hatte. Nachdem ich zwei Tage mit der Idee schwanger ging, ob ich nun ein Kennenlern-Termin ausmachen möchte, entschied ich mich für ja. Ich bat sie um einen Termin.

Doch alles in meinem Bauch krampfte sich zusammen. Ich fand ihren Schreibstil so unsympathisch, dass ich, nachdem diverse Terminvorschläge zurück kamen, antwortete, dass ich es mir nochmal durch den Kopf gehen habe lassen und ich kein gutes Gefühl habe, dass sie mich Weihnachten nicht betreuen kann (der Geburtstermin ist Anfang Dezember).

Nun suche ich also nach einer Hebamme, aber es scheint sich schwierig zu gestalten. Notfalls habe ich halt keine, sondern die vom Krankenhaus zugewiesene für das Wochenbett. Das wäre schon ok. Ich mach mir da mal keinen Stress. Wozu auch? „Che sarà, sarà“ wie der stolze Papi sagt. „Und wenn nichts hilft, dann lassen wir „la mamma“ aus Italien kommen. Die kann es eh nicht erwarten ihren nipotino [Enkelchen] zu sehen.

Neuigkeiten aus Rom

Als wir vor einigen Wochen in Rom waren, da ist etwa passiert. Ich weiß nicht genau, wo es passiert ist. Der Römer weiß es auch nicht. Vielleicht ist es passiert, als wir am ersten Tag einen schönen, langen Spaziergang gemacht haben und in der Galleria Vittorio Emanuele II einen caffé an der Bar getrunken haben. Vielleicht ist es passiert, als wir uns dazu entschieden haben, dass unsere Stammpension nicht mehr unsere Stammpension ist, weil der Eigentümer gewechselt hat und alles schlechter wurde. Vielleicht ist es in dem Moment passiert, wo wir unsere neue Stammpension gefunden haben. Vielleicht ist es beim Frühstücken in Trastevere passiert als ich meine centrifugha numero uno verschüttet habe und Matteo mir eine Neue auf’s Haus brachte. Vielleicht ist es aber auch passiert als wir auf der Ponte Sisto standen, Richtung Vatikan blickten und uns an unsere Verlobung erinnerten.

Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass es passiert ist. Und das mit genauer Sicherheit. Konnte ich doch vorher Stunden lang aushalten ohne auch nur einmal eine Toilette aufzusuchen, schaffte ich es kaum eine Stunde. Ging ich vorher nicht vor drei oder vier Uhr morgens ins Bett, war ich in Rom um 23 Uhr müde. Wir waren viel an der frischen Luft und erledigten auch viel in und um Rom, da der Römer noch Unterlagen für seine Berufsanerkennung in Deutschland brauchte, aber früher hielt ich deutlich länger durch? War es die Sonne? Die viele, frische Luft? Oder sehnte sich mein Körper nach Urlaub und nutzte diesen um in Ruhe zu schlafen? Gleichzeitig mutierte ich zum Frühaufsteher. War es vorher für mich eine Qual vor 11 Uhr aufzustehen, war ich nun um 8:30 Uhr hellwach.

„Seltsam wie mich Rom diesmal verändert.“ sagte ich zum Römer. „Ich fühle mich irgendwie komisch.“

„Perché? [Warum?] fragte der Römer.

Ich erklärte ihm all die Veränderungen, die ich beobachtet hatte. Er grinste: „Non è che sei rimasta incinta?“ [Kann es sein, dass du schwanger bist?]

„Alles ist möglich.“ antwortete ich. „Aber wir versuchen es schon so lange. Warum denn ausgerechnet in diesem Monat? Es war stressig, wir haben uns kaum gesehen und hatten kaum Zeit füreinander.“

„Basta una volta!“ [Einmal reicht ja] lachte der Römer. „Nu gut und was soll ich jetzt deiner Meinung nach machen?“ fauchte ich den Römer urplötzlich an. Stimmungsschwankungen. Auch die waren neu. „Wir kaufen einen Test in der farmacia [Apotheke] und finden es heraus.“ schlug er vor. „Okay, Aufgabenteilung: Du kaufst den Test und ich mach den Rest.“ erwiderte ich.

Er wollte anfangen zu diskutieren, aber mein Blick zeigte ihm wohl eindeutig, dass es keinen Diskussionsbedarf gab. Er trottete los. Nach 20 Minuten kam er zurück. In der Hand eine Tüte mit zwei Tests. „Falls der eine nicht funktioniert, habe ich lieber zwei gekauft.“

Ich las die Packungsbeilage und machte mich ans Werk. „Uuuuuund?“ fragte der Römer neugierig. „Ähm… keine Ahnung. Der Test denkt noch.“ gab ich zurück. Der Römer wartete zwei Minuten auf der Bettkante mit mir. „Ich geh‘ und schau mal nach.“ sagte er und ging ins Bad. „Amooooore was bedeuten zwei rosa Linien?“ rief er ins Schlafzimmer. Ich rannte ins Badezimmer. „Äääh… schwanger wohl!“ Ich konnte es nicht fassen. „Nooooo, aspettiamo un bambino?“ [Neeeein, wir erwarten ein Kind?]

Der Römer war außer sich vor Freude, während ich es einfach nicht fassen konnte. Wir erwarten tatsächlich ein Kind!

La professoressa di tedesco

Ich gebe es ungern zu, aber mir macht der Job als selbsternannte Deutschlehrerin Spaß.

Heute war unsere erste Stunde. Ich hatte einige Arbeitsblätter vorbereitet, doch der Römer wollte erst ein paar Vokabeln aus einem Buch, das er gerade liest, abschreiben. Da ich ihn kenne (vielleicht auch oft zu gut) und genau weiß, dass er sie zwar ordentlich auf eine Seite schreibt, aber dann nie wiederholt, gab ich ihm die Aufgabe sich zehn Sätze auszudenken. In der Zeit ging ich Duschen. (den Luxus habe nur ich als professoressa di tedesco [Deutschlehrerin])

Frisch geduscht kehrte ich an unseren Arbeitsplatz zurück. Er hatte zehn wunderbare Sätze geformt. Wir verbesserten sie gemeinsam und dachten uns jeweils nochmal zwei Sätze aus, die wir aber nur mündlich besprachen. Und was soll ich sagen? In dieser heimeligen Atmosphäre, „klickte“ es nicht nur einmal in seinem Kopf. Viele Zusammenhänge, die in der Schule schnell durchgekaut werden, machten jetzt Sinn für ihn.

Nach sieben Sätzen fragte der Römer: „Possiamo fare una pausa? [Können wir eine Pause machen] Ich kann mich nicht mehr konzentrieren.“

Aber ich bin eine strenge Deutschlehrerin. Nach nur sieben Sätzen kriegt man bei mir maximal einen Espresso, ein Stück Schokolade und wir lüften mal kurz durch. Aber dann geht’s weiter. Die zehn Sätze wollte ich noch fertig bekommen. Und das schafften wir dann auch. Der Römer war wie neu geboren. Die Sätze flutschten nur so.

Und ich verstand, dass ich ihm in der Vergangenheit mehr helfen hätte sollen. Da ich aber keinen Bürojob habe und oft müde war, wenn ich von der Arbeit kam, hatte ich nicht immer die Lust und Möglichkeit ihm zu helfen. Aber jetzt, jetzt wird das anders. Das habe ich ihm und mir versprochen!

Forza, Römer! Wir schaffen das!

Im Selbststudium zur Deutschlehrerin

Ich werde Deutschlehrerin. Mit dem Hintergrund, dass ich mein Leben lang im Tourismus tätig war, hört sich das erst einmal abstrus an.

Der Römer kam nach Hause, zwar mit Cannoli, aber sichtlich geknickt. „Gesprochen hab ich gut.“ versuchte er sich ein mühsames Lächeln abzuringen. „Aber der schriftliche Teil war nicht gut. Ich bin mir sicher, ich habe nicht bestanden. Ich werde nie bestehen! Ich bin kein Deutscher und ich werde auch kein Deutscher.“ führte er trotzig aus.

Ich dachte an seine Vorbereitung, die wie sein Charakter war: unstrukturiert, keine Ziele definierend und einfach mal drauf los gelernt. Die Taktik mag in vielen Bereichen funktionieren, aber im Bereich der Deutschen Sprache geht sie leider nicht auf. So war es keine allzu große Überraschung, dass der Römer beim ersten Anlauf nicht bestanden hat. Aber noch einen Anlauf wollte ich nicht riskieren. Ich muss die Zügel nun selber in die Hand nehmen.

Nun lese ich mich seit Tagen in die Prüfungsrichtlinien, Tipps, Tricks und Hinweise ein. Erstelle Arbeitsblätter, suche Übungen im Internet, teste sie selber und merke erst wie dämlich und schwierig die Aufgaben sind.

Meine selbst gestalteten Arbeitsblätter

Da gibt es diese eine Aufgabe, die wahrlich schwierig ist: Ein Lückentext. Egal in welcher Sprache, ich verabscheue Lückentexte. Also quälte ich mich durch diesen Lückentext – den Lösungsschlüssel neben mir. Meine Erfolgsquote lag beim ersten Test bei 90%. Gar nicht so schlecht. Aber man sollte bedenken, dass das meine Muttersprache ist. Ich spreche seit nun fast 30 Jahren keine andere Sprache, lernte und studierte auf Deutsch, belegte den Deutschleistungskurs und trotzdem musste ich darüber nachdenken, welche Präposition nun passt. Jetzt stellen wir uns einen Ausländer vor, der nun alles daran setzt Deutsch zu lernen und mit unsäglichen Lückentexten gequält wird.

Aber ich gebe nicht auf. Ich bringe uns durch diesen Deutschtest – da bin ich mir sicher. Auch wenn ich meine komplette Freizeit dafür investiere.

Heute sprach der Römer über ein temporäres Jobangebot für einen Sportverein in Rom. Es wäre ein Engagement für den Monat August. Da wir dort eigentlich unseren Jahresurlaub geplant hatten, hatte ich natürlich Einwände. „Ma mi sento inutile!“ [Ich fühle mich nutzlos] gab der Römer zu. „Ich arbeite in der Pizzeria und mache die Kasse und bediene die Leute. Aber das, was ich studiert habe, kann ich seit zwei Jahren nicht mehr anwenden, weil die Sprache fehlt. Ich fühle mich einfach wie ein Nichtsnutz. Deswegen habe ich das als Lichtblick gesehen.“ Auch wenn ich nicht begeistert bin, wenn dafür unser Jahresurlaub leiden muss, so verstehe ich doch seine Intention.

Wie dem auch sei, ich vertiefe mich dann mal wieder in meine Grammatikbücher.

Reisen mit Cannoli

Raten Sie, liebe Leser, was ganz wunderbar geklappt hat? Die von mir geforderten Cannoli wurden mir überreicht und ich könnte nicht glücklicher sein.

[Der folgende Text besteht aus Erzählungen vom Römer, die ich geschickt zusammengefasst habe. ]

Frisch aus Rom flog man sie ein. Um die Cannoli transportfähig zu machen, bestellte der Römer sie vor und sagte sogleich, dass sie im Flugzeug transportiert werden müssen. „Non c’è problema!“ [Kein Problem] hieß es. „Wir sagen in der Backstube Bescheid, dass die Cannoli innen mit Schokolade ausgehöhlt werden. Dann wird der knusprige Teig nicht matschig.“ 

Am Flughafen muss man sich in Rom auch keine Gedanken machen, ob das denn mit den Flüssigkeitsregelungen funktioniert oder nicht. Jeder hat Verständnis für so eine kostbare Lieferung. Kurzerhand wurden die Cannoli vorsichtig in eine eigene Box gepackt und durch den Gepäckscanner gefahren. „Tutto a posto con i cannoli?“ [Alles in Ordnung mit den Cannoli?] fragte die nette Dame der Sicherheitskontrolle den Herrn hinter dem Gepäckscanner-Bildschirm. „Maaaa si!!!“ [Aber ja doch] winkte der ab und der Römer durfte passieren. 

Im Flugzeug sprach die nette Chef-Stewardess [Purserette] am Eingang den Römer mit dem Satz „Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen!“ an und lachte herzlich. Der Römer, ganz charmant, antwortete: „Das nächste Mal gerne! Aber die muss ich meiner Gattin mitbringen.“ 

Hinter ihm sagte eine Frau zu ihrem Mann: „Muss Liebe schön sein! Du bringst mir nie was mit.“ und knuffte ihren Mann in die Seite. Der guckte verträumt durch den Spalt zwischen Flugzeugtreppe und Flugzeug um noch einmal „la dolce vita“ einzuatmen. Schwierig am Flughafen mit dem Kerosingeruch, aber nicht unmöglich. 

Während dem Flug behielt der Römer die Cannoli auf seinem Schoss, damit ihnen ja nichts passierte. Und siehe da: Als ich ihn am Flughafen abholte waren sie alle unversehrt. Sowohl der Römer, als auch die Cannoli. 

Die Deutschprüfung

Jetzt ist es also soweit. Auf den Moment haben wir zwei Jahre hingearbeitet:

Morgen fliegt der Römer nach Rom und macht seine Deutschprüfung. Warum er sie nicht in Deutschland macht, was viel naheliegender wäre? Vielleicht kann ich es mit einem kleinen Dialog, der vor Monaten stattfand, aufklären:

Der Römer beim Verben lernen in der Bibliothek

Amore, die Schule hat mir diesen Anmeldebogen zur Deutschprüfung mitgegeben. Im März wäre diese Prüfung. Aber ich glaube, dass ich im März noch nicht bereit bin. Ich brauche noch ein Monat mehr. Im April – da bin ich aber sowas von bereit.“ versucht der Römer mich zu überzeugen.

„Na gut, dann machst du sie halt im April. Der eine Monat hin oder her – das ist ja kein Problem. Und wo in unserer Stadt findet die Prüfung statt?“ fragte ich interessiert.

Ah… giusto! [richtig] Darüber wollte ich mit dir reden. In Rom findet die Deutschprüfung für mich statt!“ antwortete er mit einem gewinnenden Grinsen.

„In Rom?!?!? Warum das denn?“ Mir fiel alles aus dem Gesicht.

Allora, è così: [Also, es ist so] Ich habe mir überlegt, dass ich die Prüfung natüüürlich in unserer Stadt machen könnte, ABER die Prüfer sind ja alle Deutsch. Aber in Rom sind die Prüfer nicht alle aus Deutschland, sondern Italiener, die gut Deutsch sprechen. Genau wie ich! Deswegen sollte es da doch viel einfacher sein.“ versuchte er mich zu überzeugen.

„Hm… lass mich das noch einmal zusammen fassen. Punkt Nummer eins: Du bräuchtest also ein Flugticket um nach Rom zu fliegen, anstatt einfach mit dem Fahrrad zur Prüfung zu fahren? Punkt Nummer zwei: Dazu möchtest du die DEUTSCH-Prüfung – und hier betone ich das Wort DEUTSCH – in Italien machen, weil es da einfacher ist, obwohl die Prüfung weltweit genormt ist – italienische Prüfer hin oder her. Ich verstehe.“ fasste ich unverständnisvoll zusammen.

Si, è cosi! [Ja, so ist es] Die Signora vom Institut hat mir auch schon geschrieben – sie freuen sich sehr mich Anfang April bei der Prüfung zu begrüßen.“ erwiderte er ganz selbstbewusst.

„Bitte was?! Du bist schon angemeldet?! Du führst hier dieses Drama auf mit dem Anmeldebogen deiner Schule, nur um mir am Ende zu sagen, dass du schon längst im April in Rom angemeldet bist?“ Meine Stimme überschlug sich förmlich und mir platzte der Kragen.

Der Römer fühlte sich einen Moment ertappt. Dann sah er seine Chance und fing ganz charmant an: „Aber Amoooore! Ich mach‘ das doch nur zu deinem Schutz. Du musst dich nicht stressen, ich habe ein besseres Gefühl und somit bestehe ich doch auf alle Fälle. Ganz sicher. Das ist doch eine ganz einfache Geschichte in Rom. Heimspiel sozusagen. Und – es ist alles schon geregelt. Du sagst doch immer, ich soll mich um mehr Sachen kümmern. Ecco! [Schau] Ich habe mich darum gekümmert und schon ist es dir wieder nicht recht. Was willst du eigentlich?!“ Der Römer zuckte mit den Achseln und klappte seine Unterlippe um.

„Mo-moment mal! Bitte verdrehe nicht die Tatsachen. Ich wollte, dass du mehr Sachen übernimmst – ja. Aber denk‘ doch bitte ab und zu rational!“ bemerkte ich aufgebracht.

Aooooo! [Römischer Ausruf] Aber das ist rational. Ich habe mich selbstständig zur Deutschprüfung angemeldet, schlafe bei Giovanni und zufällig ist am letzten Tag der Prüfung auch noch der Geburtstag von Paolo. Io prendo due piccioni con una fava. [Ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe] Taaaaack!“ versuchte er mich zu überzeugen.

„Mach einfach was du willst, aber versuche die Prüfung zu bestehen. Und egal was ist: Wenn du nicht mindestens fünf Cannoli (zwei mit Ricotta, zwei mit Mandeln und eins mit Pistazie) bei meiner sizilianischen Lieblingsbäckerei mitnimmst, dann brauchst du gar nicht zurückzukommen.“ knurrte ich.

„Aber die Cannoli muss man vorbestellen!“ versuchte sich der Römer aufzuregen.

„Ja, du bist doch jetzt so gut im selbstständig Organisieren. Dann sollte das doch ein Leichtes sein!“ grinste ich nun siegessicher an. „Allora, in bocca al lupo!“ [Na dann viel Glück]

„Crepi il lupo.“ antwortete der Römer zerknirscht und griff zum Telefon um meine Cannoli vorzubestellen.

Römische Sonntage

Ich mag keine Sonntage in Deutschland. Sie sind überlaufen und ziehen sich wie Kaugummi. Beim sonntäglichen Spaziergang liefern sich Fußgänger und Radfahrer Schlachten in Parks und Grünanlagen und spätestens ab dem frühen Abend liegt der „Montagmorgen Blues“ in der Luft.

In Rom war das anders. Römische Sonntage habe ich geliebt. Ich träume immer noch heimlich, an einem normalen Sonntag auf meiner Couch, von den Sonntagen in Rom. Man stand spät auf und die Sonne schien, das konnte man durch die geschlossenen Fensterläden bereits erahnen. Dennoch wusste man eindeutig: Es war Sonntag, denn es waren viel weniger Geräusche auf der Straße.

Als Römer packt man am Sonntag (Samstag muss man oft noch arbeiten) seine Sachen und fährt ans Meer oder zu „i suoi“ [den Seinigen – die Familie] um sich dort mit der gesamten Familie zum pranzo [Mittagessen] zu treffen. Das heißt im Umkehrschluss: Die Stadt ist leer.

Sonntag ist außerdem der Abreisetag der Wochenendtouristen. Vor 12 Uhr sieht man sie langsam durch die Gassen Roms ziehen mit ihren kleinen Rollkoffern, die auf den Kopfsteinpflaster auf- und abhüpfen und auch gerne mal ein Rad verlieren oder sich einen Riss holen. Sie suchen die Trambahnen und Busse, die sie zum nächsten (Bus-)Bahnhof bringen, der sie Richtung Ciampino oder Fiumicino [die beiden römischen Flughäfen] verschickt.

Sonntage in Rom begannen spät. Um 10 oder 11 Uhr kletterten wir aus dem Bett. Der Römer war meist eine halbe Stunde damit beschäftigt seine kurzen Locken zu adjustieren, sich mit prüfendem Blick dem Kleiderschrank zu widmen und sich am Ende doch für seine typische Kombi aus Lederjacke, Polo Shirt und Jeans zu entscheiden. Die Sonnenbrille setzte er als I-Tüpfelchen kurz vorm Verlassen des Hauses auf, nur um sich im stockdunklen Flur zu finden. Durch geschicktes Vorbeischielen links und rechts von der Sonnenbrille fand er den Liftknopf, der uns nach unten brachte. Die Sonnenbrille noch einmal kurz absetzen? Ma che! [Aber was!]

Wir spazierten die 400 Meter zu unserem Stammcafé. Matteo, der immer die Mittelschicht hatte, winkte uns schon von weitem, und wir nahmen „il solito“: Un brioche integrale con miele [Ein Vollkorn Croissant mit Honig gefüllt], un brioche con la crema [ein Croissant mit einer Vanille-Puddingcreme], due caffé [zwei Espressos] und due centrifughe numero uno [zwei „Smoothies Nr. 1“ würde man wohl auf Neudeutsch sagen]

Römisches Frühstück in Trastevere

Dann frühstückten wir im schattigen Innenbereich, während all die Butterstückchen und Iced Cappuccinos der Touristen in der Sonne ihren ursprünglich angedachten Aggregatzustand verloren.

Meist gingen wir danach durch Trastevere, schlängelten uns aber durch die weniger überlaufenen vicoli [Gassen] und überquerten -mit einem kurzen Stop auf der Brücke – die Ponte Sisto, auf der wir uns verlobt haben.

Nachdem wir ein kleines Pläuschchen mit Cristian vor seinem Restaurant am Campo de‘ Fiori hielten, gingen wir weiter zur Piazza Navona, wo wir meist Andrea trafen, der versuchte Touristen in sein Restaurant zu locken. Da der Job auf der Piazza Navona nicht allzu schwierig ist, hatte auch er immer Zeit für una chiacchierata [ein Pläuschchen].

Meist war es dann schon wieder Zeit für’s Mittagessen und wir aßen Pizza am Largo Argentina. Frisch gestärkt musste noch ein caffé her, denn ohne geht’s ja nun auch nicht. Den nahmen wir meistens bei meiner sizilianischen Lieblingsbäckerei in der Via dell’Arco del Monte ein. Diese befindet sich wiederum ein paar Schritte von der Ponte Sisto entfernt, die nach Trastevere führt. Pappsatt war es dann erst einmal Zeit nach Hause zurückzukehren und ein Mittagsschläfchen zu halten.

Als der Sonnenuntergang nahte, war es meist schon Zeit für aperitivo in der Nähe der Piazza Trilussa. Gabriele stand meist draußen und rauchte, während die anderen ragazzi [Jungs und Mädeln in diesem Fall] fleißig am arbeiten hinter der Bar waren. Nach ein, zwei Stunden gingen wir gemütlich nach Hause, meist trafen wir noch irgend wen, der auch gerade nach Hause ging und verquatschten uns noch einmal für 30 Minuten. Abends ließen wir dann den Sonntag Sonntag sein und gingen etwas früher ins Bett, da der Römer am nächsten Tag arbeiten musste.

Sonntage in Rom – ich vermisse sie. Aber wie ich immer so schön sage: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Irgendwann kehren wir zurück.

Der Eine und der Andere

Ich habe zwei beste Freunde. Den Einen und den Anderen.

Den Einen kenn ich noch aus der Schule. Ich war blitzverliebt als er als „der Neue“ meiner Klasse vorgestellt wurde. Er musste sich in die erste Reihe Mitte setzen, denn nur dort war ein Platz frei.

Jeden morgen in der ersten Stunde packte er etwas zu essen aus: Nicht etwa ein Croissant, eine Brezen oder eine Käsesemmel wie es damals in München üblich war, nein, er packte eine Tafel Schokolade aus. Und die nächsten zwei Stunden befasste er sich, der er doch so im Blickfeld der Lehrer saß, damit, dass er seine Schokolade genüsslich teilte und dann verspeiste. Erst einmal brach er die Schokolade in Spalten, die wiederum aus vier Stücken bestanden. Die Stücke brach er einzeln ab, kaute aber nicht, sondern ließ sie auf seiner Zunge schmelzen. Nach zwei Schulstunden faltete er das Schokoladenpapier einmal in der Mitte und verstaute es unter seinem Ordner. Das wiederholte er fünf Tage die Woche.

Ich, die zwei Reihen hinter ihm, aber etwas weiter rechts saß, beobachtete dieses einzigartige Schauspiel jeden morgen mit immer neuer Faszination. Ich kannte niemand, dem die Lehrer so gleichgültig waren und der gleichzeitig so tiefenentspannt seine Schokolade frühstückte. (Hier sei angemerkt: Wer frühstückt eigentlich morgens eine Tafel Schokolade?) Ab da tat ich alles dafür, dass wir Freunde wurden. Und so kam es auch.

Den Anderen lernte ich in einem Lehrgang kennen. Schon als er zur Tür hineinkam, fand ich ihn genial. Seine Art war unheimlich unterhaltsam, gleichzeitig argumentierte er mit fundiertem Wissen und war informiert. Er war wie eine witzige Wissenssendung und jedes Mal, wenn er sich zu Wort meldete, musste ich grinsen, denn ich wartete auf scharfe Pointen und seinem omnipräsenten Zynismus. Während diesen drei Monaten Lehrgangszeit wurde ich kein einziges Mal enttäuscht. Später wohnte er dann bei mir, denn er brauchte aus beruflichen Gründen immer mal wieder eine Schlafgelegenheit und in unserer WG war noch ein Zimmerchen frei. Das bezog er und war letztendlich öfter bei uns als in seiner „richtigen“ Wohnung, denn die Abende verflogen nahezu, wenn wir beide zusammen quatschten.

Der Eine ist mehr Typ Faultier, bedachter, ruhiger, entspannter und lässt erst einmal alles auf sich zukommen, während der Andere energetischer, dramatischer, konfliktbereiter und informierter ist, was in der Welt so vor sich geht.

Ich möchte weder den Einen noch den Anderen in meinem Leben missen, denn so unterschiedlich sie auch sind, so unterschiedliche Tipps ich von ihnen bekomme, sie halten mich doch in der Mitte. Und sollte ich doch einmal in meinem Leben entgleist sein, so haben sie mich jedes Mal wieder auf die Schienen zurückgesetzt und sichergestellt, dass ich wieder normal laufe.

Die Sprachpolizei

Der Römer ist gestresst. Das liegt daran, dass der Römer nächste Woche seine Deutschprüfung schreibt. Zwei Jahre haben wir nun auf den Moment hingearbeitet und nun ist der Tag also gekommen. Er wird sprachlich flügge sozusagen.

Als Muttersprachler hörte ich immer wieder wie schwierig Deutsch wohl sein mag, aber dass es so kompliziert ist, wollte ich nicht glauben. Am Anfang hielt ich noch locker mit: Adjektiv? Klar kenn ich das. Possesivpronomen? Facile. [Einfach] Trennbare Verben? Mein Spezialgebiet.

Doch nach und nach, je höher der Römer den europäischen Referenzrahmen hinaufstieg, desto mehr kam ich außer Puste. Plötzlich fragte er nach Temporal und Kausal Konnektoren. Er löcherte mich, warum ich in diesem oder jenem Satz ein Plusquamperfekt benutzte, wo doch ein Perfekt gereicht hätte. Er analysierte jeden Satz und fragte, warum ich „Das könnt‘ ich schon machen…“ sage, obwohl „Das könnte ich schon machen…“ korrekter wäre.

Verbesserte er mich im Italienischen, nahm ich das gerne an. Aber das kam so selten vor, weil er mich irgendwie immer verstand. Auch wenn es ein grober Verstoß gegen die italienische Grammatik war, war er meist zu faul mich in seiner Muttersprache zu verbessern.

Aber in meiner Muttersprache blühte er auf wie ich es vorher noch nie an ihm gesehen habe: Er war nicht nur die Grammatikpolizei, auch Wortschatz und Aussprache fielen in seine eigens gegebene Zuständigkeit. Mit der Neugier eines Kinder fragte er mich, warum man „Das Nudelwasser abgießen“ sagt, wo gießen doch eher eine Tätigkeit ist, die er mit Pflanzen in Verbindung bringt. Er fragte mich, warum ich Chemie (mit K ausgesprochen) sage und nicht, wie eigentlich korrekt CHemie (mit CH).

Jede bayerische Eigenheit, die ich mir über die Jahre behielt oder die mir mit der Zeit im Exil hier in Mitteldeutschland nicht mehr auffiel, mäkelte er an. Der Tisch wird bei ihm nicht zamgwischt, weil dieses Wort für ihn gar keinen Sinn ergibt. Der Tisch wird gesäubert – mit einem Lappen. Es wird auch keine Brezn beim Bäcker bestellt, sondern eine Brezl. Darauf legt er penibel wert, denn er möchte es ja korrekt lernen. Da darf ich mir keinen Fehler erlauben.

So kämpfen wir uns also Tag für Tag durch den Tag. Ich, die jegliche Grammatikregeln, die er penibel in seinem Kopf sortiert hat, ab und zu missachte und es wage ein Plusquamperfekt zu benutzen, wo es doch gar keinen Sinn ergibt und er, der er wie ein Kriminalkommissar jedes Verbrechen meinerseits gegen die deutsche Sprache verfolgt und mich sofort zur Strecke bringt.

Aber eines hab ich ihm voraus: Ich kenne alle Artikel und nutze sie in jedem der vier Fälle selbstsicher und bestimmt. Außer vielleicht morgens, wenn ich mir mit dem Butter eine Semmel schmiere und dabei vergesse, den Radio anzumachen… da nicht.. 00000