Der Eine und der Andere

Ich habe zwei beste Freunde. Den Einen und den Anderen.

Den Einen kenn ich noch aus der Schule. Ich war blitzverliebt als er als „der Neue“ meiner Klasse vorgestellt wurde. Er musste sich in die erste Reihe Mitte setzen, denn nur dort war ein Platz frei.

Jeden morgen in der ersten Stunde packte er etwas zu essen aus: Nicht etwa ein Croissant, eine Brezen oder eine Käsesemmel wie es damals in München üblich war, nein, er packte eine Tafel Schokolade aus. Und die nächsten zwei Stunden befasste er sich, der er doch so im Blickfeld der Lehrer saß, damit, dass er seine Schokolade genüsslich teilte und dann verspeiste. Erst einmal brach er die Schokolade in Spalten, die wiederum aus vier Stücken bestanden. Die Stücke brach er einzeln ab, kaute aber nicht, sondern ließ sie auf seiner Zunge schmelzen. Nach zwei Schulstunden faltete er das Schokoladenpapier einmal in der Mitte und verstaute es unter seinem Ordner. Das wiederholte er fünf Tage die Woche.

Ich, die zwei Reihen hinter ihm, aber etwas weiter rechts saß, beobachtete dieses einzigartige Schauspiel jeden morgen mit immer neuer Faszination. Ich kannte niemand, dem die Lehrer so gleichgültig waren und der gleichzeitig so tiefenentspannt seine Schokolade frühstückte. (Hier sei angemerkt: Wer frühstückt eigentlich morgens eine Tafel Schokolade?) Ab da tat ich alles dafür, dass wir Freunde wurden. Und so kam es auch.

Den Anderen lernte ich in einem Lehrgang kennen. Schon als er zur Tür hineinkam, fand ich ihn genial. Seine Art war unheimlich unterhaltsam, gleichzeitig argumentierte er mit fundiertem Wissen und war informiert. Er war wie eine witzige Wissenssendung und jedes Mal, wenn er sich zu Wort meldete, musste ich grinsen, denn ich wartete auf scharfe Pointen und seinem omnipräsenten Zynismus. Während diesen drei Monaten Lehrgangszeit wurde ich kein einziges Mal enttäuscht. Später wohnte er dann bei mir, denn er brauchte aus beruflichen Gründen immer mal wieder eine Schlafgelegenheit und in unserer WG war noch ein Zimmerchen frei. Das bezog er und war letztendlich öfter bei uns als in seiner „richtigen“ Wohnung, denn die Abende verflogen nahezu, wenn wir beide zusammen quatschten.

Der Eine ist mehr Typ Faultier, bedachter, ruhiger, entspannter und lässt erst einmal alles auf sich zukommen, während der Andere energetischer, dramatischer, konfliktbereiter und informierter ist, was in der Welt so vor sich geht.

Ich möchte weder den Einen noch den Anderen in meinem Leben missen, denn so unterschiedlich sie auch sind, so unterschiedliche Tipps ich von ihnen bekomme, sie halten mich doch in der Mitte. Und sollte ich doch einmal in meinem Leben entgleist sein, so haben sie mich jedes Mal wieder auf die Schienen zurückgesetzt und sichergestellt, dass ich wieder normal laufe.

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