Man darf doch wohl noch träumen dürfen

Irgendwann.

Irgendwann sitze ich in unserem Haus mit Garten. Die großen Rosmarin Büsche verströmen einen betörenden Duft. Wann immer eine frische Meeresbrise vom wenigen Kilometer entfernten Meer landeinwärts weht, trägt es den salzigen Duft des Mittelmeeres und der prall-roten Tomaten aus dem kleinen Eck im Garten bis zu mir auf die Veranda. Die Mittagssonne brennt herunter. Ich lasse meinen Blick schweifen. Alte, knorrige Olivenbäume stehen auf der kargen, staubigen Erde. Hinter unserem alten, verblichenen Holzzaun stehen sie gelassen in der Mittagssonne. Hier und da bewegen sie sanft ihre Zweige im Wind hin und her. Es scheint als würden sie die Luft streicheln.

Ein paar wenige Zweige liegen auf dem Boden. Manche von ihnen fielen dem gestrigen, erfrischenden Sommergewitter zum Opfer. Zu Boden getragen warten sie nun darauf zu verdorren. Genau wie die anderen, die dort schon länger liegen. Die Blätter zu dürrem Laub geworden, werden sie in wenigen Tagen und Wochen zu Staub zerfallen.

Am Horizont kann man das tiefblaue Meer erahnen. Die Mittagssonne lässt es wie einen edlen Kronleuchter eines alten Königshauses schimmern und funkeln. Ein, zwei Schiffe kann ich erahnen. Die ewige Freiheit auf hoher See. Woher kommen sie? Wohin fahren sie?

Am anderen Ende des großen Gartens steht ein Feigenbaum. Die ersten Feigen des Jahres sind fast reif und leuchten in kräftigen Lila- und Grüntönen. Der Basilikum wiegt sich leise im Wind und scheint fast zu einer nicht hörbaren Musik zu tanzen. Der Thymian wird von vielen, kleinen Bienen bevölkert, die fleißig und gewissenhaft die Pollen einsammeln. Danach schweben sie ab, lautlos. Ihr Weg führt sie hinters Haus. Dort wohnen sie in ihrem großen Bienenstock und arbeiten tagein tagaus. Unerlässlich.

Auf dem alten, groben Holztisch steht mein soeben frisch gebrühter Espresso. Der Duft des schwarzen Goldes steigt mir in die Nase. Herb, wohlig, einladend und zugleich temperamentvoll. Ich rühre besonnen etwas braunen Zucker in die Tasse. Die Crema bleibt. Auch das Rühren kann ihr nichts anhaben.

Signor Muller, unser Hund, liegt gemütlich dösend unter der Holzbank zu meinen Füßen. Sein leises Schnarchen und sein beherztes Atmen unterhalten mich.

Die Wäsche wippt fröhlich im Wind auf und ab. Meine Kleider, seine Kleider und die Kleider der Kinder leuchten. Die helle Kleidung strahlt mit der Sonne um die Wetter. Der Duft von frisch gewaschener Wäsche vermischt sich mit dem Duft der Kräuter aus unserem Steingarten. Der Kaktus trägt stolz seine Feigen auf seinem langen, schmalen Körper und prahlt mit den übrigen Gemüsesorten und Früchten um die Wette. Die Zucchini-Pflanze steht in voller Blüte.

Es wird mir zu heiß. Selbst in meinem leichten Leinenkleid. Ich gehe ins Haus, das durch die dicken Mauern und die mediterrane Bauweise angenehm kühl ist. Herr Muller läuft mir schlaftrunken tappsend hinterher. Neben dem Herd steht noch das Mittagessen von vorhin: eine große Schüssel Pasta Fredda. Mehr als die Hälfte fehlt bereits. Vier hungrige Mäuler haben den Großteil davon mittags vertilgt.

Ich räume Geschirr in die Spülmaschine und entdecke einen kleinen Menschen am Tisch sitzen. Tagträumend. Wer kann es ihm verdenken? Wer kümmert sich schon um Mathe, wenn man sich ein paar freie Minuten ungestört in seinen Gedanken bewegen kann?

Herr Muller legt sich neben seinen Stuhl und rollt sich träge auf die Seite.

Ich wasche ein paar Aprikosen, die ich heute früh auf dem Markt gekauft habe, nachdem ich die Kinder zur Schule gefahren habe. Das Messer gleitet durch das pralle, saftige Fruchtfleisch. Der dunkle Kern löst sich von alleine. Auf dem weißen Teller mit dem filigranen Blumenmuster kommt das satte Gelb-Orange der Früchte noch mehr zur Geltung.

Ich streichle meinem kleinen Tagträumer über’s Haar und stelle den Teller mit den Aprikosen zwischen uns. Langsam erwacht er aus seinem Traum und greift beherzt zu. „Mmmmh!!“ stellt er fest. „Sono buone!“ [Die sind gut] sagt er. Er könnte auch Deutsch sprechen, aber die Muttersprache seines Vaters fällt ihm leichter. Stillschweigend genießen wir die übrigen Aprikosenhälften. Andächtig kauen wir sie und grinsen uns an.

Irgendwann. Irgendwann wird es so oder so ähnlich sein. Bis dahin träume ich einfach noch ein bisschen weiter von dem Haus in der Nähe des Meeres, vom großen Garten und den alten Olivenbäumen, den kleinen Menschen, die tagträumend im Wohnzimmer sitzen und von Herrn Muller, der friedlich schnarchend unter dem Tisch liegt.

Man wird ja nochmal träumen dürfen

Meine Schwester Turtle

Meine Schwester Turtle ist fünf Jahre älter als ich. Als ich geboren wurde, schubste ich sie unweigerlich vom Thron des Nesthäkchens und das verzieh sie mir bis zu meiner Volljährigkeit nicht. Meistens ignorierte sie mich, was ich schrecklich fand, war ich doch die Aufmerksamkeit von allen andere gewöhnt. Wenn ich mal wieder in ihr Zimmer marschierte um sie zu fragen, ob sie mit mir malen wollte, schmiss sie mich in hohem Bogen raus.

Meine Schwester Turtle nahm ich als Eigenbrötler wahr. Meistens wollte sie ihre Ruhe. Selbst in der Familie wusste man nicht viel von ihr – eine Ausnahme bildete meine große Schwester Ova. Ihr vertraute sie sich an. Als sie Anfang 20 war zog sie in die Stadt am Main und studierte. Man bekam nicht viel von ihr mit. Wenn ich den Einen besuchte, der bereits dort wohnte, trafen wir uns meist ein Stündchen auf einen Kaffee. Das reichte auch, denn wir hatten uns nicht wirklich viel zu sagen. Dann düste sie wieder auf ihrem Rad ab. Und jeder lebte sein Leben weiter.

Meine Schwester Turtle hasste ihr Studium, war aber eine der besten. Sie arbeitete als studentische Hilfskraft für den Professor und dieser schlug vor, sie solle unbedingt promovieren. Doch sie hatte ihren eigenen Kopf. Sie beendete ihren Masterstudiengang und beschloss, dass sie erst einmal eine Pause braucht. Sie machte eine Weltreise. Diese begann mit sechs Monaten Rom und drei Monaten London und wurde dadurch zur Europa Reise. Dennoch tat sie, was sie sich zuvor in den Kopf gesetzt hatte. Sie reiste.

Meine Schwester Turtle beendete letztes Jahr ihre Weltreise und zog bei unserer Schwester Ova ein. Ova, damals noch Mutter von nur einem Kind, glücklich verheiratet, Reiheneckhaus, hatte noch ein Zimmer mit Bad frei. Für Turtle. Bis sie sich wieder orientiert hatte und auf eigenen Beinen stehen konnte. Im Gegenzug kümmerte sich Turtle liebevoll um Ovas Sohn, unseren Neffen. Dann wurde Ova zum zweiten Mal schwanger.

Nach drei Monaten in Ovas Haus mit Ovas Familie bekam Turtle die Diagnose Brustkrebs. „Ich muss mit dir reden. Wann kann ich dich sehen?“ stand auf dem Handy-Bildschirm an einem Abend im Juli letzten Jahres. Ich dachte an alles: ungeplante Schwangerschaft von einer Urlaubsbekanntschaft, ein neuer Partner, plötzlich eine andere, sexuelle Orientierung. Alles. Nur nicht an das. Ich rief sie an. „Ich wollte es dir eigentlich nicht am Telefon sagen, aber ich [sie stockte] habe Brustkrebs. Links. Er ist schon ziemlich weit.“ Ich schluckte und antwortete: „Okay. Brustkrebs. Das überlebst du. Keine Sorge. Wir kriegen das hin.“ Wir redeten und ich bemühte mich um Sachlichkeit. Allein, dass die Panik nicht überhand nahm. Wochen nach diesem Telefonat gestand sie mir, dass ich die einzige war, „die so cool reagiert hat“ und nicht sofort panisch wurde. Daraufhin verstand sie, dass das schon andere überlebt haben und sie das auch schaffen kann. „It’s no big deal.“ dachte sie sich nach diesem Telefonat. Obwohl es das war. Auch für mich.

Meine Schwester Turtle wollte bei Ova bleiben, doch sie war überfordert mit der Situation, mit der Schwangerschaft im fortgeschrittenen Stadium und mit ihrem kleinen Sohn. Sie machte sich die Entscheidung nicht einfach, konnte nächtelang nicht schlafen und gab am Ende erschöpft und unter Tränen zu, dass sie das nicht schafft. Die Phase der Chemo wäre in der Zeit gewesen, in der ihre Tochter zur Welt kommen sollte. Also wartete Turtle und suchte nach Ferienwohnungen und Möglichkeiten im Süden Deutschlands zu bleiben. Ich rief sie an und redete mit ihr: „Komm zurück in die Stadt am Main. Hier hast du 10 Jahre gewohnt, hier sind wir, hier sind deine Freunde. Hier ist dein Herz. Wir helfen dir. Wir sind für dich da. Aber komm zurück zu uns.“

Meine Schwester Turtle zog zurück in die Stadt am Main und fand eine kleine Wohnung. Unsere Eltern unterstützten sie finanziell. Oder wie mein Papa unter Tränen sagte: „Mir ist das Geld so egal. Das wichtigste ist, dass mein Kind gesund wird. Wir zahlen für sie. Das ist gar keine Frage. Das ist eine Selbstverständlichkeit.“ Sie begann die Chemo und kämpfte sich durch. An einem Dienstag im Frühherbst rasierte sie sich ihre Haare ab und war seitdem nur noch mit ihrer rosa-melierten Mütze unterwegs. Sie wollte keine Perücke, denn es war wie es war. Sie konnte es im Moment nicht ändern.

Der Römer und ich gaben ihr Rückendeckung und sie tat alles um gesund zu werden. Tage- und wochenlang ging es ihr mies. Entweder war ihr übel, sie war ausgelaugt oder hatte massive Schlafstörungen. Meistens auch alles zusammen. Sie wollte die Chemo abbrechen und hatte keine Lust mehr, doch wir ermutigten sie, gaben ihr Anreize und hielten sie bei Laune. Sie machte weiter.

Im Februar nahmen sie ihr die linke Brust komplett ab. Sie weinte als sie allein in dem kalt wirkenden Raum stand und man ihr anzeichnete, wo die Brust entfernt werden sollte. Als es vorbei war, fuhren wir zu ihr ins Krankenhaus. Meine kleine, zerbrechlich wirkende Schwester in diesem riesen Krankenbett, umgeben von Infusionen, Zugängen und Schläuchen. Sie lächelte als sie uns sah. Ihre Stimme war ganz leise und sie musste ihre Sätze immer wieder unterbrechen, weil ihre Stimme versagte.

Ich hatte am nächsten Tag eine Geschäftsreise. Fünf Tage, in denen ich sie allein lassen musste. Es ging nicht anders. Mit Gewissensbissen verabschiedete ich mich. Der Römer beruhigte mich damals, denn er versprach sie jeden Tag zu besuchen. Und das tat er. Er kochte für sie, er unterhielt sich mit ihr, er hielt sie bei Laune. Das wiederum beruhigte mich und mein Gewissen. Sie verstand mich und versicherte mir, alles ist bestens.

Danach brauchte sie eine Krankenhaus Pause und fuhr mit ihrem Partner (sie führen eine Fernbeziehung, das heißt er kann nicht immer hier sein) in den Urlaub. Im Raum stand die Frage, ob sie der Bestrahlung zustimmen soll oder nicht. Wir versuchten sie nicht zu überzeugen. Was hätte das auch gebracht? „Egal wie du dich entscheidest, wir stehen hinter dir.“ sagten wir ihr. In der Zwischenzeit kamen die Laborergebnisse. Es konnte keine einzige, Krebs befallene Zelle mehr gefunden werden. Zur Bestrahlung rieten die Ärzte trotzdem.

Sie entschied sich dafür und kämpfte sich durch. Sie bekam Probleme mit den Schleimhäuten, sie war unausgeglichen und ängstlich. Wir taten unser bestes.

Am letzten Tag der Bestrahlung wollten wir feiern. Sie rief heulend an und sagte das Treffen ab. Sie schafft das alles nicht, schluchzte sie ins Telefon. Sie wollte niemanden sehen. Ich hatte Angst um sie und fuhr zu ihr. Unter einem Vorwand gelang es mir in die Wohnung zu kommen. „Ich will nicht mehr Leben. Ich will nicht mehr. Ich hab schon meine Schlaftabletten gesucht. Aber ich finde die doofen Dinger nicht. Dann hab ich mir überlegt mich einfach mit dem Fön in die Badewanne zu legen. Ich hätte auf die scheiß Chemo verzichten sollen. Es wäre einfacher gewesen zu sterben.“

Überzeugen half nichts, also fing ich an über dies und das zu reden. Über den Sinn des Lebens, über ihren Kampfgeist, über ihre Stärke. Währenddessen spülte ich ihr Geschirr, denn ich wusste einfach nicht wohin mit mir. Ich schnitt ihr Erdbeeren klein und sie musste mir versprechen welche zu essen. Ich fütterte sie wie ein Kleinkind. „Das ist das erste, was ich seit 24 Stunden esse. Aber die sind lecker.“ sagte sie, schon etwas fitter. Nachdem sie 500 Gramm Erdbeeren verschlungen hatte, gingen wir raus in die Sonne. Im botanischen Garten fuhr sie langsam runter. Ihr Freund rief an. Das half. Er war gerade auf Zypern. Sie entspannte sich beim Klang seiner Stimme. Wir kauften Pizza und aßen zusammen mit dem Römer. Ich hätte sie nicht heimgeschickt, wenn sie nicht stabil gewesen wäre. Sie musste mir versprechen sich nichts anzutun. Das tat sie. „War ’ne dumme Idee von mir. Vorher meine ich. Als du mich gerettet hast.“ sagte sie am Ende des Abends.

Meine Schwester Turtle ist nun krebsfrei. Sie hat überlebt. Dem Krebs zum Opfer fiel ihre linke Brust. Stellenweise ihr Stolz, ihre Selbstsicherheit, ihr Kampfgeist, ihre Freude. Doch sie überlebte. Sie hat es geschafft. Mittlerweile wurde aus uns die „kleinste Selbsthilfegruppe“ der Welt, denn wir vertrauen uns alles an. Jeden Tag schreiben wir und helfen uns, wo wir können. Meine Schwester Turtle ist ein Kämpfer. Sie ist mein ganz persönlicher Held.

Wie ich den Römer in den Keller jagte

Langsam aber sicher nimmt es überhand mit diesen Hormonen. Wobei ich mir noch nicht einmal sicher bin, ob es tatsächlich die Hormone sind, auf die ich so gerne alles schiebe. Vielleicht werde ich einfach nur verrückt, jetzt, wo unser Leben langsam in geordneten Bahnen verläuft.

Es fing recht harmlos an. Ich las am Montagabend einen Artikel in einer deutschen Zeitung, dass es morgen zu heftigen Regenschauern kommen soll. „Überschwemmungsgefahr!!!“ stand da und die drei großen, schwarzen Ausrufezeichen schienen förmlich zu schreien. „Pfff!“ dachte ich mir. „Davon lass ich mir doch keine Angst machen. Überschwemmungsgefahr? In unserer Stadt? Aber sicher nicht. Wenn der Main überlauft, dann trifft es erstmal die Häuser in der ersten Reihe und bis das Hochwasser dann bei uns ist – ne, ne – das dauert.“ beruhigte ich mich und ging kurz darauf ins Bett.

Die Nacht war durchwachsen. Meine Blase weckte mich gefühlt jede Stunde viermal. Irgendwann hatte ich eine Verschnaufpause und schlief zumindest bis 6:30 Uhr durch. Dann meldete sich Blase mal wieder. Ich begab mich ins Bad. Dort dachte ich über den Überschwemmungs-Artikel in der Zeitung nach.

Plötzlich viel es mir wie Schuppen von den Augen. „Oh nein, oh nein, oh nein! Wir müssen sofort in den Keller!!!“ schoss es mir durch den Kopf. Wie ich auf den Gedanken kam? Der Überschwemmungs-Artikel in Kombination mit den Regentropfen, die gegen die Jalousie prasselten, wäre es noch nicht gewesen. Es war viel mehr unser Kellerfenster.

Seit 2 Jahren ist es nun schon kaputt – also seitdem wir hier wohnen. Und vermutlich war es auch schon immer kaputt, aber es kümmerte sich keiner darum. Wir taten das ja nun auch nicht. Es gab auch nie Probleme. Es stand einfach immer angelehnt offen. Im Winter, im Sommer und auch in allen Jahreszeiten dazwischen. Niemand beschwerte sich.

Als ich aber im Bad war und darüber nachdachte wurde ich panisch. „Es regnet sicher rein. Der Keller läuft voll! Der ganze Keller. Und dann muss die Feuerwehr kommen und das Wasser aus dem Keller pumpen. Wir müssen den ganzen Hausstand unserer Nachbarn zahlen. Wir werden arm. Oh Gott, ich bin auch noch schwanger und wir sind hoch verschuldet, nur weil wir das Kellerfenster aufgelassen haben. Was mache ich jetzt? Ich muss den Römer wecken. Es geht nicht anders. Jetzt sofort!“

Und genau das tat ich. Ich schoss ins Schlafzimmer und rüttelte ihn am Arm: „Römer! Römer!!!! Aufstehen. Wir haben eine Katastrophensituation!!!“ eröffnete ich das Gespräch. Nicht der beste Satz um jemanden zu wecken. „Hm….“ war die erste Reaktion des Römers. Er versuchte sich umzudrehen und weiterzuschlafen. „Svegliatiiii!!!“ [Wach auf] versuchte ich ihn zu wecken. „Es wird eine Katastrophe passieren, wenn wir nicht sofort in den Keller gehen!“ herrschte ich ihn panisch an.

Er kam langsam zu sich. „Che è successo?“ [Was ist passiert?] fragte er schlaftrunken. „Wir müssen SOFORT in den Keller. Sofort! Der Keller läuft voll und das ist unsere Schuld. Alles ist unser Schuld. Und wir können den Schaden nicht zahlen. Er ruiniert uns.“ sprudelten die Wörter aufgeregt aus mir heraus. „Okaaaaaay…. quindi? Che dobbiamo fare?“ [Okay… nun?Was sollen wir tun?] versuchte er die Fassung zu bewahren. „Aufstehen, anziehen, sofort in den Keller und versuchen, das Fenster zu schließen.“ befahl ich in einem Ton, der jeden Feldwebel stolz gemacht hätte. „Alle sette di mattina?“ [Um 7 Uhr morgens?] fragte er vollkommen entgeistert. „Jaaaaaaaaaaaa!! Aber natürlich. Es geht um jede Sekunde. Der Keller läuft voll!“ stoß ich panisch aus.

Er musste wohl geahnt haben, dass es die Hormone sind. Ohne Murren zog er sich an. Der sonst so eitle Römer war in wenigen Sekunden einsatzbereit um in den Keller zu gehen. „Tu stai qui!“ befahl er mir diesmal. Ich gehorchte, zitternd, die Gedanken fuhren Achterbahn.

Nach 10 Minuten kehrte er zurück. Ich lief sofort zur Haustür. „Und?!?! Hast du es hingekriegt? Ist der Keller schon voller Wasser?“ fragte ich ihn aufgeregt. „Allora….“ begann er und suchte nach Worten, die mich beruhigen sollten. „Erst einmal die schlechte Nachricht: Ich habe versucht das Fenster zu schließen. Es ist verbogen und lässt sich nicht schließen.“ fing er an. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott.“ dachte ich und guckte auf seine Füße. Die waren noch trocken. Wenn er nicht gerade durch den Keller geschwebt ist, war das eigentlich ein gutes Zeichen.

„Poi… unser Kellerfenster ist mindestens – und ich betone mindestens 80 cm über dem Grund. Das heißt, das Wasser müsste 80 cm hoch sein, dass es überhaupt in den Keller laufen kann. Und dann, amore mio, wäre es durchaus nachvollziehbar, dass unsere Schutzgitter ohne Glaseinsatz durchaus nicht mehr dicht sind. Wie auch? Ein Gitter kann nun mal nicht dicht sein.“ führte er seine Erklärung grinsend zu Ende. Er gähnte herzhaft. „Können wir nun wieder ins Bett?“ fragte er.

Ich war vollkommen aus dem Konzept und wusste gar nicht mehr, was ich sagen sollte. Einerseits schämte ich mich den Römer um 7 Uhr morgens in den Keller zu jagen wegen einem Grund, der keiner ist, andererseits war ich mir 100% sicher, dass wir richtige Fenster hatten.

„Ja…. können wir.“ gab ich kleinlaut zurück. „Entschuldige, bitte.“

„Und guck mal: Es hat auch aufgehört zu regnen. Es sind nur ein paar kleine Pfützen übrig.“ sagte er und streichelte mir über den Oberarm.

Im Bett angekommen, wünschte er mir eine gute Nacht: „Buona notte, stupida.“ sagte er ironisch. „Buona notte… e scusa per il disturbo.“ [Gute Nacht und entschuldige die Störung]

P.S. Ich konnte es natürlich nicht lassen und schlich mich nachmittags noch einmal in den Keller. Der Römer hatte recht. Es sind keine Glasscheiben. Es sind Gitterfenster – ohne Glas.

Ich dachte der Keller wäre so voll gelaufen, dass schon allerhand Meeresgetier dort lebte.

Ein inoffizieller Brotsalat

Sowohl la nonna italiana als auch la mamma würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. „Una panzanella non si può fare così!“ [Einen Brotsalat kann man nicht so machen] würden sie sagen und die Hände in die Schürzentasche stecken – zu Fäusten geballt. „Dai, ti faccio vedere io.“ [Komm, ich zeig dir wie man das macht] würden sie mich anherrschen und mich liebevoll, aber bestimmt zur Seite schubsen. Das Brot würden sie mit solch stoischer Gelassenheit und kulinarischer Entschlossenheit schneiden, dass ich entmutigt in der Ecke stehen würde. Die Klinge des Messers würden sie kraftvoll durch die Tomaten gleiten lassen und ich würde vor Ehrfurcht erzittern. Die Zwiebeln würden sie so fein und filigran zurechtschnitzen, dass mir nicht nur von den Zwiebeln die Tränen kommen würden. All das würden sie tun, würden wir in Italien wohnen, da bin ich mir sicher.

Aber da wir hier in Deutschland Narrenfreiheit haben (und die Verwandschaft nicht so schnell über den Brenner kommt) und es „il figlio“ [dem Sohn] alias „dem Römer“ wunderbar schmeckt, veröffentliche ich mal mein Rezept. Aber bitte nicht der nonna sagen! Sonst stehen sie in 12 Stunden vor meiner Tür – mit dem Kofferraum voller Filone, Tomaten, olio d’oliva, biscotti und was sie sonst noch auf dem Weg über den Brenner gefunden haben.

Panzanella à la Deutsche Far Niente

Zutaten:

1 Stange Brot (z.B. Ciabatta, Baguette, Filone)

400 g Minitomaten (Cocktailtomaten)

2 Knoblauchzehen

1 rote Zwiebel (die ist etwas milder)

Parmesan am Stück nach Geschmack (ungefähr 50-70 g)

eine gute Handvoll Rucola nach Geschmack

1/2 Zitrone

Olivenöl

Salz

Pfeffer

Zubereitung:

Sollte das Brot vom Vortag (oder besser vom Vor-Vortag) sein, so kann man es direkt verarbeiten. Ich bevorzuge es vom Vortag, schneide es in kleine Würfel (etwas größer als Croutons) und gebe es sicherheitshalber auf ein Backblech. Bei 200-220 Grad bleibt es für ca. 10 Min. im Ofen bis es goldbraun ist.

In der Zwischenzeit wasche ich die Tomaten und schneide sie in kleine Stücke. Die Zwiebel wird entweder in filigrane Streifen oder ebenfalls in kleine Würfel geschnitten. Den Parmesan schneide ich in mundgerechte Stücke oder zerbrösel ihn, so dass er gut essbar ist. Ich wasche auch schon den Rucola und schneide ihn klein. Den Knoblauch schälen und in 2-3 grobe Stücke schneiden.

Wenn das Brot fertig ist, lasse ich es etwas auskühlen bis es ungefähr lauwarm ist. Alle zuvor vorbereiteten Zutaten gut vermengen, den Saft einer halben Zitrone auf den Salat geben und Olivenöl dazugeben, so dass das Brot die Chance hat sich etwas vollzusaugen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und voilà: man hat ein Sommergericht, das auch noch satt macht UND das alte Brot ist verwertet.

Hübsch sieht er nicht aus, aber ich machte das Foto noch schnell bevor der Römer die vierte Portion vertilgte

Achtung: Den Knoblauch fischen wir immer raus – er dient nur zur Geschmacksgabe.

Mahmood, der ESC und die Lega Nord

Italien ist nicht nur Sonnenschein und dolce vita. Italien ist auch ein Land, in dem Rassismus herrscht, genau wie in jedem anderen Land. Xenophobie, die Angst vor dem Fremden, ist das, was wahrscheinlich die meisten antreibt, wenn es um rassistische Sprüche oder Taten geht.

Momentan ist Mahmood der italienische Anwärter auf den ESC Titel. Mahmood, geboren 1992 als Alessandro Mahmoud, ist der Sohn einer sardischen Mutter und eines ägyptischen Vaters. In seinem ESC Song singt er herzergreifend über das Verhältnis mit seinem Vater. Ein wunderbares, abwechslungsreiches Lied – wie ich finde.

Als er das diesjährige San Remo Festival gewann und sich damit für den Eurovision Song Contest qualifizierte, twitterte der bekannte „Lega Nord Leader“ Matteo Salvini folgendes: „#Mahmood…………… mah………… La canzone italiana più bella?!? Io avrei scelto #Ultimo, voi che dite?? #Sanremo2019“ – Wörtlich übersetzt wäre die Bedeutung: „#Mahmood……….. nun…… Das schönste italienische Lied?!? Ich hätte ihn auf den letzten Platz gewählt, was denkt ihr?? #Sanremo2019.“

Vielleicht hätte man weniger in diese Zeilen interpretiert, wäre Salvini und seine Lega Nord nicht dafür bekannt, dass sie extrem rassistisch sind. Mahmood reagierte gelassen: „Es ist halt nicht sein Musikgeschmack.“ Ja, so hätte man das auch verstehen können. Klar, es ist nur eine Meinung und mit Meinungsfreiheit müsste sich der ehemalige Journalist Salvini eigentlich gut auskennen.

Ständig twittert er hetzerische Videos und die dazugehörigen, schneidigen Untertitel, die ein wahres Feuerwerk des rechten Denkens abbilden. Vielleicht hätte er sein Geschichtsstudium damals in Mailand nicht abbrechen sollen, wenn er doch anscheinend so wenig über die Immigrationsgeschichte Italiens weiß. Vielleicht hätte er sich mal fragen sollen, warum Marsala (Marsa Ali = Der Hafen Alis) in Sizilien so heißt – und zwar bis heute. Oder vielleicht sollte er sich lieber Gedanken machen wie man eine hilfreiche und humane Lösung für alle Beteiligten findet, denn ich bin mir sicher: Kein Mensch verlässt sein Land, seine Familie, sein gewohntes Umfeld um auf einer Reise quer durch die Sahara sein Leben auf’s Spiel zu setzen. Nur um dann auf einer undichten Nussschale über das Mittelmeer zu segeln.

Salvini ist für mich nichts weiter als ein Clown. Das erklärt auch, warum er ständig die Kopfbedeckungen der Carabinieri, Feuerwehrmänner oder Polizisten trägt. Vielleicht wäre ein Job im Kindergarten geeigneter für ihn. Aber dazu bräuchte man ja soziales Feingefühl.

Aber zurück zu Mahmood. Ich finde ihn ganz wunderbar. Ein aufgeweckter, junger Mann, der aus einer binationalen Ehe entstammt. Ist es nicht das, was Italien endlich braucht? Ein modernes Märchen, dass Mahmood den ESC gewinnt? Ich würde es ihm wünschen. Ihm und all den jungen Italienern, die ehrlich interessiert an der Herkunft des Gegenübers sind, dies aber nicht als Waffe benutzen. Ist es nicht die Vielfalt, egal ob religiös, kulturell oder ethnisch, die uns beim Austausch untereinander hilft?

Ich finde es ganz wunderbar, wenn ich zum Abendessen am Ende des Ramadans eingeladen werde um mit meinen Freunden und Nachbarn an großen Tafeln zu feiern. Und sie finden es wunderbar, wenn sie Weihnachten bei uns unterm Christbaum sitzen. Sollten wir nicht einfach voneinander lernen als gegeneinander zu kämpfen? Wie froh bin ich hier zu wohnen, wo ich jeden Tag auf’s Neue andersartige Geschmäcker, Gewürze und Gerichte kennen lernen darf. Wie froh bin ich, dass hier jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund hat, denn genau das erweitert doch unseren Horizont. Wie froh bin ich, dass unser Kind genau das erleben darf. Diversifikation ist doch das, was uns neugierig macht um uns schließlich weiterzuentwickeln.

Der Römer im Krankenhaus

Eigentlich wollte ich heute fröhlich-leichtfüßig über das Kennenlernen mit Rosi, meiner e’bammà, berichten. Aber da kam das Leben dazwischen.

Der Römer hat seit mindestens 20 Jahren „Galle“. Viele, kleine Gallensteine, die sich mal mehr, oftmals auch weniger durch den Gallengang arbeiten oder auch dort stecken bleiben. Im Januar mussten wir in einer Nacht und Nebelaktion ins Krankenhaus, da ein knusprig zubereitetes Wiener Schnitzel (zu unserem Hochzeitstag) sein Tribut forderte. Nachts um 2 Uhr hielt er die Schmerzen nicht mehr aus. Aber erst als er nicht mehr vor Schmerzen stehen konnte, durfte ich il signore ins Krankenhaus bringen. Davor hieß es mit schmerzerfülltem Gesicht: „Non è nulla di serio.“ [Es ist nichts ernstes]

Aus dem „nulla di serio“ [nichts ernstes] wurde fünf Tage stationärer Aufenthalt im Krankenhaus. Man schickte eine Sonde in seinen Magen und von da weiter zur Gallenblase, die mal eben alles putzte und polierte. Daraufhin war der Römer ganz überrascht, dass er sich so gut fühlte wie nie. Er hatte keinerlei Schmerzen mehr. Kurzum: Es ging ihm blendend. So blendend wie das letzte Mal vor 20 Jahren laut seiner Aussage. Nach besagten fünf Tagen durfte er nach Hause. Natürlich nicht ohne die mahnenden Worte des Chefarztes, er solle baldmöglichst einen Termin zur Gallenblasenentfernung ausmachen. „Ja, ja!“ sagte der Römer und winkte fröhlich beim Heimgehen.

Monatelang passierte nichts. Er ignorierte die mahnenden Worte des Chefarztes und lebte fröhlich vor sich hin. Bis ihm eine Pizza Quattro Formaggi einen Strich durch die Rechnung machte. Wer hätte auch ahnen können, dass soviel fettiger Käse auf so wenig Teig Probleme hervorrufen würde? Der Römer schon mal nicht.

Er schlief nächtelang nicht durch, hatte starke Schmerzen, die er mit seiner Geheimwaffe „Schmerzmittel 600“ zu bekämpfen versuchte und als das nichts brachte, flog er zu seinem guten Freund Lorenzo nach Rom. Lorenzo ist Allgemeinarzt und verschrieb ihm Antibiotika. „Das sollte erst einmal reichen. Damit hältst du sicher wochenlang durch.“ gab er dem Römer mit auf den Weg. Wochenlang war es nicht. Es waren drei Tage. Aber der Römer wollte partout nicht in Deutschland zum Arzt, geschweige denn ins Krankenhaus. Er wusste sehr genau was ihm da drohte: Eine Standpauke und eine Reinigung des Gallenblasengangs.

In der Zwischenzeit, unter Schmerzen, machte er einen Termin im Krankenhaus aus. Betreff: Entfernung der Gallenblase. Er bekam drei Termine: einen zur Vorbesprechung, zwei Tage später sollte über die Anästhesie gesprochen werden und schlussendlich die Entfernung.

Termin Nummer eins nahmen wir heute wahr. Ich ging von einer halben bis maximal einer Stunde aus. Doch aus einem harmlosen Sprechstundentermin sollten fünf Stunden Klinikaufenthalt für mich als Begleitung und ein sofortiger, stationärer Aufenthalt für den Römer werden.

Denn dem Chefarzt gefiel ganz und gar nicht, was er da bei der Sprechstunde sah: gelbe Augen, komische Anzeichen im Ultraschall, Schmerzen auf Höhe der Gallenblase.

„Gehen Sie mal zu meinem Kollegen in die Ambulanz. Der nimmt Ihnen Blut ab und macht noch einmal einen Ultraschall.“ sagte er sehr freundlich. „Im schlimmsten Fall muss ich Sie stationär aufnehmen. Und zwar heute.“

Wir trotteten zur Ambulanz. Sofort kamen wir dran. Es wurde Blut abgenommen, es wurde noch einmal alles genau im Ultraschall angeschaut und dann durften wir im Wartezimmer Platz nehmen. Nicht etwa für 30 Minuten. Nein, wir nahmen dort für zweieinhalb Stunden Platz.

[Kurzer Exkurs: Der Römer und ich sind beide keine großen Frühstücker. 3-4 Kekse, Kaffee, Tee. Fertig. Wozu gibt es Snacks? Da ich davon ausging, dass der Termin maximal ein Stündchen dauerte und wir danach in das italienische Café zum zweiten Frühstück gehen würden, sorgte ich natürlich nicht vor. Was sich rächen sollte!]

Ich wurde immer hungriger und meine Laune verschlechterte sich sekündlich. Missmutig ging ich zum Snackautomaten und kaufte mir zwei Schokoriegel. Die machten mich aber nicht gerade glücklich, geschweige denn satt.

Bevor ich schwanger wurde, konnte ich über Stunden nichts essen. Das war kein Problem. Durch meinen Beruf war ich es gewohnt, nicht immer dann essen zu können, wann ich das wollte. Ich gönnte mir ein Glas Fruchtsaft und dann stürzte ich mich wieder ins Getümmel. Das geht nun aber nicht mehr. Ich habe ständig Heißhunger. Eine Kleinigkeit genügt dann, besonders gerne frische Früchte oder Müsliriegel oder aber Gurke (das ist neu). Nicht aber Schokoriegel. Die mag ich nun wirklich nicht mehr.

Der Römer ist so wie ich in schwanger. Er muss regelmäßig was essen, sonst kippt seine Stimmung. So saßen wir also da, wartend, uns angiftend und es ging nichts voran. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus zwischen all den hustenden und kränkelnden Personen, dass ich JETZT!! SOFORT!! an die frische Luft musste. Der Römer folgte mir brav.

„Ich möchte heim!“ maulte ich. „Ich hab‘ Hunger, mir ist schwindelig, mir ist schlecht, ich will nicht mehr sitzen UND ich bin schwanger!!!“ Ich wurde immer motziger. „Aber ich brauche dich. Du musst doch das übersetzen, was ich nicht verstehe.“ quängelte der Römer. Ich schnaubte. „Gut, dann knöpf ich mir jetzt einen Arzt vor. Ich warte doch nicht zweieinhalb Stunden auf die Blutergebnisse.“ meckerte ich weiter.

Als ich mir gerade jemanden im weißen Kittel vorknöpfen wollte (die Hormone!), kam der junge Assistenzarzt auf uns zu: „Sooooooo…. also: Herr Römer bleibt nun erst einmal bei uns – er wird stationär aufgenommen. Und wir müssten Sie noch von einem Facharzt untersuchen lassen. Diesmal von einem Internisten.“ teilte uns der junge Arzt mit ruhiger Stimme mit. Dem Römer entgleisten die Gesichtszüge. Ich rechnete schon damit. „Wunderbaaaar.“ sagte ich, „Brauchen Sie mich dann noch? Oder das kriegen Sie ganz gut alleine hin?“ fragte ich. „Ich glaube nicht. Wir kriegen das doch ganz gut alleine hin.“ gab der Arzt zurück. Der Römer war immer noch perplex. „Wenn was ist, meine Telefonnummer ist in seiner Krankenakte hinterlegt.“ flötete ich, endlich meine Freiheit und besonders mein Mittagessen witternd. „Scusa, amore. [Entschuldigung, Schatz] Normalerweise lasse ich dich nicht alleine. Aber mir ist schlecht und schwindelig und ich sterbe vor Hunger. Seit fünf Stunden sind wir hier. Ich bringe dir nachher den Koffer mit allen Sachen.“ erklärte ich dem Römer und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Si…si…ok… a dopo.“ [Ja…ja…ok…bis später] gab der Römer perplex zurück und wurde in ein Behandlungszimmer abgeführt.

Fünf Stunden, ein Teller Nudeln mit Pesto, zwei Bananen und einen Kamillentee später, packte ich den Koffer des Römers. Minütlich kamen neue Nachrichten bei mir an. Denk an meine Hausschuhe! und Bitte bring mir meinen Laptop mit. Lade vielleicht ein, zwei Filme vorher runter sowie Vielleicht könntest du auch was kochen. Ich mag das Krankenhausessen nicht. waren nur einige Beispiele seiner Anweisungen. Ich tat mein bestes, vergaß das ein oder andere absichtlich oder unabsichtlich (bei seiner Bestellung fehlten nur noch Vorhänge und bequeme Couchkissen, dass er sich mehr als häuslich einrichten konnte) und besuchte ihn im Krankenhaus.

Das erste Bild aus dem Krankenhaus

Umgeben von einem Sizilianer und einem Deutschen, alle im selben Alter, fühlte es sich an, als wäre ich in die Kneipe ums Ecke geraten. Ausgelassene Stimmung, lautes Gelächter, er fühlte sich anscheinend sehr wohl. Na, hier konnte ich ihn ja beruhigt lassen. Nach einer viertel Stunde verabschiedete ich mich und ging in meinen „wohlverdienten Feierabend“.

Rosi wird meine e’bamma

Viel mehr Sachen müssten einem einfach egal sein. Denn immer, wenn mir Sachen egal waren in meinem Leben, dann gingen sie zu meinem Vorteil aus. Das war bis jetzt in jedem Bereich meines Lebens so. Das Universum regelt sich schon von alleine.

Letzte Woche verzweifelte ich noch daran eine Hebamme zu finden, schrieb wahllos Hebammen an und entweder hatte keine Zeit, um Weihnachten arbeiten sie grundsätzlich nicht, sie arbeiten nicht mehr als Hebamme oder sie sind schon komplett ausgebucht für Anfang Dezember.

Dieses Wochenende entschied ich mich dafür, dass es mir einfach egal ist. Wenn sich jemand meldet: Sehr gerne. Wenn sich gar keiner mehr meldet: Ich werde es schon allein hinbekommen. Irgendwie. Mit Youtube. (Ja, da findet man alles – von Babybaden bis Nabelpflege … man ahnt es nicht!)

Heute meldete sich Rosi. Rosis Praxis sieht – auf ihrer Homepage – ganz wunderbar aus. Das „über mich“ sprach mich sofort an und sie ist nicht weit weg. Sie schrieb mir sehr sympathisch, entschuldigte sich für die verspätete Antwort und schlug ein Telefonat in der selben Woche vor.

Ich wartete ungeduldig auf ihren Anruf, doch nichts passierte. Also musste ich am Montag selbst zur Tat schreiten. Ich rief sie an. Der Anrufbeantworter ging ran. Rosi hatte einen ganz wunderbaren, bayerischen Akzent. Sofort musste ich an meine Mama denken. „Grüß Gott, da ich momentan nicht erreichbar bin, schlag ich Eana [Ihnen] einfach vor, dass Sie’s später no’amoi [noch einmal] probieren. Auf Wiederhören und bis bald!“ Sehr sympathisch, aber leider brachte mich das keinen Schritt weiter. Ich gab mir eine Frist von 24 Stunden. In dieser Zeit wird sie schon zurückrufen. Und genau das passierte.

„Ja, grüß dich, ich bin’s die Rosi. Ich wollt mich nur amoi [nochmal] schnell melden um dir zu sagen, dass wir uns am besten persönlich kennalerna! Kimmst dann einfach zu mir in die Praxis, gell? Passt dir der Mittwoch guad?“ redete sie fröhlich darauf los. „Klar, Rosi. Mittwoch passt super! Ich hatte schon Angst, dass du abspringst.“ antwortete ich sichtlich erleichtert. „A geh! Natürlich net. I hob’s dir doch gschriem [geschrieben]. Wir Bayern müssen im Exil doch zamhalten!“ antwortete sie keck.

Also sieht es wohl so aus, als würde Rosi meine e’bamma werden. Ein Glück!

e’bammà

Ich bin immer noch mit der Hebammensuche beschäftigt. Und verzweifelt. Und gestresst. Da hilft es auch nicht, wenn der Römer das hundertste Mal „e’bammà“ statt „Hebamme“ sagt. Auch wenn es mich ein bisschen zum Schmunzeln bringt.

„Ich bin mir sicher, wir finden eine. Bei Giovanni in der Bar, arbeitet doch la mamma di Elisabetta! Sie hat letztens eine e’bammà empfohlen. Eine, die sie schon hatte und auch ihr Sohn, als ihre nipotina [Enkelin] geboren wurde. Ich frag sie einfach mal!“ sagte der Römer ganz problemlösungsorientiert.

„Jaaaaa… gute Idee. Es ist nur so: Ich bin in der sechsten Schwangerschaftswoche. Ich möchte erst einmal, dass es meine Eltern wissen und dann vielleicht irgendwann kann es gerne la mamma di Elisabetta wissen. Aber ich möchte doch nicht einer Bekannten von meiner Schwangerschaft erzählen, wo ich es doch nicht mal den zukünftigen nonni [Großeltern] erzählt habe.“ gab ich zu bedenken.

„Dann ruf ich jetzt meine Eltern an und sag‘ es ihnen! Problem gelöst!“ sprach er und griff zum Telefon. „Stoooooop!!“ konnte ich gerade noch rufen. „Moment, bitte! Also, erst einmal atmen wir durch und dann finden wir eine Lösung, bitte. Wir machen das jetzt à la tedesca und nicht al romano. Also wir überlegen uns in welcher Reihenfolge es Sinn macht und erst dann handeln wir.“

„Allora, perché mi stressi?“ [Und warum stresst du mich dann?] seufzte der Römer und lies sich auf dem Sofa nieder. „Weil wir keine Hebamme finden!!!“ zickte ich von meinen Gefühlen getrieben zurück.

„Ach, wir finden schon eine. Pazienza! [Geduld] Irgendeine wird schon Zeit haben. Und wenn nicht: Ich habe eine professione sanitaria [medizinischen Beruf]. Unser Bambino [Kind] hat ja den selben Körper wie ein großer Mensch – nur eben in kleiner. Das kriegen wir schon hin. Wichtig ist, dass du nicht stresst. Sonst wird unser bambino auch gestresst und das tut ihm sicher nicht gut.“ versuchte er beruhigend auf mich einzureden.

„Keine Sorge, wenn unser bambino nur halb so entspannt wird wie du, dann lässt er sich von gar nichts aus der Ruhe bringen! Das ist schon mal sicher.“ kapitulierte ich.