
Wie unschön Steuererklärungen sind, wissen Sie sicher. Als mündige, erwachsene Bürger hatten Sie sicher mehr als einmal das Vergnügen aktiv oder passiv in den Steuerdschungel einzutauchen.
Es wird Sie vielleicht erstaunen, aber seit ich Mutter eines kleinen Signorinos bin, kümmere ich mich sehr gerne um die Steuererklärung. Fast möchte ich soweit gehen und Ihnen leise flüsternd verraten, dass ich mich bereits seit Anfang 2020 auf die 2021 fällige Steuererklärung freue. Nicht etwa, weil ich auf eine Rückzahlung hoffe. Wobei ich einer Rückzahlung generell nie abgeneigt bin. Nein, nein, viel mehr, weil ich ein paar ungestörten Stunden nicht abgeneigt bin. Nur ich, mein Computer, die giftgrüne Mappe mit dem hübschen Wort „tasse“ (Steuern) auf dem Einband und eine schöne Tasse Tee.
Es sind wahre Mußestunden. Doch wie es mit der Ruhe und Entspannung oft so ist, früher oder später kommt jemand, der sie Ihnen streitig machen will.
Am Montag war es, als mir der Römer die Lohnsteuerbescheinigung 2020 auf den Schreibtisch legte. Ich lächelte zufrieden, wusste ich doch, dass nun die Zeit reif war für einen ungestörten Nachmittag in meiner ganz privaten Steueroase. Der Römer indessen hatte die nicht minder wichtige Aufgabe, mir jegliche Störungen, egal wie süß und tapsig sie sind, vom Leibe zu halten. Steuererklärungen erfordern eine größtmögliche Portion an Konzentration, Akkuratesse und Spürsinn. Gegen eine schöne Tasse Tee und ein paar italienische Kekse ist dennoch nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil, sie sind dem Ergebnis sogar zuträglich, möchte ich behaupten.
Während ich die giftgrüne Mappe aufschlug um schon einmal die Rechnungen zu sortieren, nahm das Unglück Fahrt auf. „Scusa amore, mi potresti far vedere come si fa?„[Entschuldige, Schatz, aber könntest du mir zeigen wie man das macht?] durchbrach der Satz des Römers die sich langsam ausbreitende Ruhe. Ich guckte ihn höchst irritiert an, bekam ich es doch mit der Angst zu tun, meine Mußestunden abgeben zu müssen.
„Die Steuererklärung?“ fragte ich und kannte doch bereits die Antwort. „Esatto. Mi interessa.“ [Genau. Das interessiert mich.] gab der Römer neugierig zurück und guckte mir über die Schulter. „Puh…das ist einfacher gesagt als getan. Jahre, ach was, Jahrzehnte hat es mich gekostet, überhaupt einen ungefähren Plan zu haben, wie das alles von Statten geht. Turtle zum Beispiel, machte extra eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten, so kompliziert schien es ihr. Und mittlerweile versucht sie sogar Steuerberaterin zu werden, weil sie immer noch nicht recht weiß wie es funktioniert.“ versuchte ich ihm durch massive Abschreckung die Idee auszureden. „C’è lo possiamo provare.“ [Wir probieren es trotzdem.] sprach der Römer überzeugt. Ich nickte nur langsam und starrte auf meinen ungeöffneten Teebeutel. „Oase der Entspannung“ stand auf ihm, doch ich glaubte ihm nicht mehr so recht.
„Heute Abend dann? Wenn Signorino schläft? Anders geht’s ja nicht. Einer muss auf ihn aufpassen und normalerweise mache ich die Steuern alleine, während du aufpasst. Einfach wird das eh nicht, aber….“ versuchte ich die Sache komplizierter zu machen als sie ist. Er unterbrach mich mit einem „stasera“ [heute Abend]. Dann drehte er sich um und ging in die Küche um sich dem Bräunungsgrad der Cannelloni im Ofen zu widmen.
Abends, Signorino schlief bereits seit dreißig Minuten, fanden wir uns dicht an dicht vor dem grellen Bildschirm ein. Weder eine Kanne Tee, noch Kekse waren auf meinem Schreibtisch, denn Gemütlichkeit würde bei diesem Thema heute garantiert nicht einziehen. Der Römer stellte seinen entkoffeinierten Espresso auf den Tisch und verrührte etwas Zucker in der dunkelbraunen Flüssigkeit. Ich kaute stattdessen nervös auf meinem Minzkaugummi herum. Dann griff ich beherzt zur giftgrünen Steuermappe und schlug sie auf. „Fürs Erste würde ich dich bitte, einfach nur unsere persönlichen Daten in dieses Programm einzutippen. Fang gerne mit dir an: Name, Anschrift, Beruf, Steuernummer,…“ zählte ich auf und vertiefte mich demonstrativ in eine Rechnung. „Okay, facile. [Okay, einfach.]“ gab er zurück und tippte los. Ich schielte immer mal wieder zu ihm und guckte, was er tippte. Nachdem er seinen Namen, unsere Straße und schlussendlich den Ort ausgefüllt hatte, guckte er mich fragend an. Mit zusammengekniffenen Augen dachte er angestrengt nach. Dann wandte er sich wieder dem Computer zu und tippte eine 6 ein. Wieder guckte er auf und fixierte mich fragend. „Jaaaaa?“ wollte ich wissen und guckte von meiner Rechnung hoch. „Il CAP è 6….e poi?“ [Die Postleitzahl ist 6….und dann?]“ erkundigte er sich bei mir. „Amore, wir wohnen seit dreieinhalb Jahren hier!“ gab ich beunruhigt zurück. Noch eh ich ihn fragen konnte, wie er seit Jahren Behördengänge und Bestellvorgänge absolvierte, hatte er die Antwort bereits in einer Suchmaschine gefunden. Siegessicher lächelte er mich an. „Man muss nur wissen, wo es steht.“ murmelte der Römer während er sich wieder seiner Aufgabe widmete. Nach einer Weile stand er auf, ging zu seinem Geldbeutel, holte seine Krankenkassenkarte und guckte sie kurz an. Dann tippte er los. Ich fragte mich seit wann das Steuerprogramm nach der Versichertennummer fragte. Aber, zugegeben, allzu vertraut bin ich mit den neuen Gesetzesänderungen nicht.
„Ok, manca una ciffra.“ [Ok, es fehlt eine Ziffer.] stellte der Römer nach mehrmaligem Kontrollieren fest. Ich drehte mich zu ihm und guckte, was er eingegeben hat. „Woher hast du denn die Steueridentifikationsnummer? Die steht doch in dem großen Ordner. Oder weißt du sie etwa auswendig?“ hakte ich verwundert nach. „Ma è scontato. C’è sempre scritto sulla tessera sanitaria.“ [Aber das ist selbstverständlich. Schon immer steht diese auf der Krankenkassenkarten.] gab er etwas hochmütig zurück. „Seit wann?“ fragte ich nach während ich die Karte hin- und herdrehte und danach suchte. „Amore! Die Versichertennummer IST die Steuernummer. Die beiden sind identisch.“ erklärte er mir zunehmend genervter. Ich runzelte meine Stirn und zwei dicke Furchen bildeten sich zwischen meinen Augenbrauen. „Das wäre mir neu.“ sprach ich kurz und suchte im Internet mehr Informationen über seine These. Wenn es eine Änderung dieses Kalibers gegeben hätte, hätte doch das Finanzamt oder die Krankenkasse einen Informationsbrief geschickt? Ich wühlte in dem gut gefüllten Ordner mit der Aufschrift „Finanzkram“.
Schließlich fiel mir die Steueridentifikationsnummer in die Hände. Ich verglich sie mit der Versichertennummer der Krankenkasse. Nein, die beiden hatten rein gar nichts gemeinsam. Außer natürlich, dass sie aus wild zusammengewürfelte Ziffern bestanden. Die Krankenkasse nahm sich das Recht heraus, ihre Nummernfolge mit einem neckischen Buchstaben zu versehen. Langsam schüttelte ich meinen Kopf und gab dem Römer den Brief mit der Steueridentifikationsnummer, damit er sich noch einmal vergleichen konnte. „Strano. In Italia c’è scritto ovunque il codice fiscale*.“ [Komisch. In Italien steht überall die Steuernummer.] klärte er mich auf. „Aaaaah!“, jetzt fiel der Groschen auch bei mir, „In Italien!! Sag das doch gleich. Wir haben in Deutschland für alles eine eigene Nummer.“ Desillusioniert und verwirrt guckte mich der Römer mit seinen großen, blauen Augen an. „Germania è un paese molto strano. [Deutschland ist ein sehr seltsames Land.] Wo die Deutschen praktisch denken könnten, tun sie es nicht. Und wo sie es tun, braucht man es nicht.“ Nach diesem Satz tippte er die richtige Steueridentifikationsnummer ein, streckte sich und gähnte. „Mi sembra che dura un botto di tempo. [Es scheint mir, als würde das ewig dauern.]“ gab er nun zu und gähnte noch etwas lauter und übertriebener. „Amore, ich schätze deinen Einsatz sehr. Aber du nimmst mir schon so viel ab – die Steuererklärung musst du mir nicht auch noch abnehmen.“ versuchte ich ihm sein Vorhaben ein letztes Mal auszureden. „Hai raggione. Non posso fare sempre tutto io. Grazie, amore. [Du hast Recht. Ich kann nicht immer alles machen. Danke, Schatz.]“ gab er mir Recht und küsste mich auf die Stirn. Ich lächelte, dann streckte ich mich und gähnte ebenso herzhaft wie der Römer vor wenigen Momenten. „Morgen mach ich das. Heute bin ich schon zu müde.“ verkündete ich und erntete ein verständnisvolles Nicken vom Römer.
Am nächsten Vormittag stand eine dampfende Tasse „Oase der Entspannung“ vor mir. Die zweifarbigen Kekse waren griffbereit auf einem Tellerchen angerichtet. Zufrieden klappte ich den Laptop auf, während ich im Hintergrund den Römer hörte wie er mit Signorino schimpfte. Anscheinend hatte er Klopapier in einem unachtsamen Moment geklaut, zerrissen und überall auf dem Weg in die Küche verteilt. Lautstark fluchte und rief der Römer nach dem flüchtenden Kleinkind. Ich seufzte selig. „Na, dann wollen wir mal. Die Steuernummer müsste so stimmen…. Erster Punkt: Beruf!“ Während ich unsere Berufsbezeichnungen eintippe, lächelte ich, denn schließlich hatte ich meine Mußestunden des Jahres zurückgewonnen. Wie es schien, für immer.
*codice fiscale – die italienische Steuernummer – oder wie der Römer sagt: „Senza sei morto in Italia. [Ohne bist du tot in Italien]“ Nichts läuft ohne die Steuernummer. Ein Bankkonto eröffnen? Aber klar doch, wie lautet denn die Steuernummer? Denn ohne italienische Steuernummer gibt es kein Bankkonto, keine (Kranken-)Versicherung, kein nichts. Jeder gute Italiener oder in Italien lebende weiß sie auswendig – und wenn nicht, dann kann er die Nummer mit einem schnellen Blick auf seine Krankenkassenkarte abrufen. Wer keine beantragen möchte, aber einen codice fiscale auf die schnelle braucht, kann sich auf einigen Internetseiten schnell und gratis den codice fiscale berechnen lassen.
Der Codice Fiscale. Ich liebe ihn! Man wird mit ihm geboren bzw. bei einem Einwanderer wie mir ist seine Ausstellung die erste Amtshandlung. Für Bank und Versicherung, da lass ich es mir gefallen, aber er gehört auch in jede Anmeldung der Kinder zum Bastelnachmittag im Hort. Wie der Römer richtig sagt: Senza sei morto. Non esisti. No Codice Fiscale, no Party 😊
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Und wieder etwas gelernt von dir. Das wusste ich nicht, dass die Anmeldung zum Bastelnachmittag auch einen codice fiscale braucht. 😄
Übrigens bleibt der codice fiscale der selbe, auch wenn du die Nationalität wechselst. Ein Bekannter des Römers sah das als letzten Ausweg aus den Steuerschulden. Nun ja, er musste auch seinen Vornamen “abändern”, damit er tatsächlich einen neuen codice beantragen konnte. 😅
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Und: Ich freue mich für dich, dass du dir die Erklärung als persönliche kleine Auszeit gerettet hast! 😉
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🤩🤩
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Du kannst gerne auch meine Steuererklärung machen…
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Bei dir stell ich mir das herrlich vor. Man hat die freie Wahl aus unzähligen Kaffeespezialitäten und von dir bereits getesteten Keksen. 🤩
Das wäre mein Paradies.
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Nur, wenn Du einen Weg findest, wie ich sie von der Steuer absetzen kann!
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🧐 Da müsste ich meine Steuerschwester fragen. Das wäre interessant. 😄
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Ich bin sooo happy mit meiner Steuerberaterin. Es gibt jedes Jahr ein Guthaben … lg
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🤩 Das ist viel wert! Die zahlt sich sprichwörtlich aus. 😃 LG
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