Dieser Pfingstsonntag war ein holpriger. Und er hatte so gar nichts mit meinem eigentlichen Plan zu tun. Ja, ich erdreiste mir, als Elternteil eines Kleinkindes immer noch Pläne zu machen. Wie dämlich das ist, kann sich vermutlich jeder ausmalen.
Angefangen hat es mit einer sehr unangenehmen Nacht. Nun bin ich ein Mensch, der zwar durchaus in der Lage ist, ein Doppelbett mit einem anderen Menschen teilen zu können, der aber im Verlauf der Nachtruhe nicht berührt werden möchte. Gelebtes, nächtliches Social Distancing ist das, wenn Sie so wollen. Es liegt hauptsächlich daran, dass ich bei jeder Berührung aufschrecke. Dazu brauche ich ein Minimum an Platz, Abstand und Ruhe, wenn ich schlafe. Heute Nacht empfand es Signorino aber als dringend notwendig, die ganze Nacht über physischen Kontakt zu seiner Mutter zu haben. Und sobald dieser Kontakt abbrach, schrie er empört auf. Es war, als wären wir nach 17 Monaten wieder über eine Nabelschnur verbunden. Besonders wichtig für das Kind schien es dabei zu sein, nicht etwa ruhig vor sich hinzuschlafen. Wo denken Sie hin! Viel mehr wollte er, der da schlief, konstant meine Hand patschen, streicheln, zuppeln, zupfen und mal im Gesicht, mal auf der Brust, mal an den Beinen spüren. Nur, um dann die Hand wieder zum Gesicht zu delegieren. Dabei möchte ich behaupten, dass eine Mutter gar nicht so müde sein kann, als dass Sie dabei einschlafen könne. Vorausgesetzt, Sie ticken so wie ich – und es handelt sich nicht um ein neugeborenes Baby. Den Römer schien diese Problematik wenig zu beeindrucken. Schließlich hat dieser die wunderbare Gabe, auch während eines Gesprächs wegzunicken. Er fängt dann an, mit offenen Augen zu schnarchen. Blöderweise verlangte unser Kind nur nach seiner Mutter und auch nur diese durfte das Bett mit ihm teilen.
Als diese Nacht endlich vorbei war, und das war heute um 9:00 Uhr der Fall, fing Signorino an, sein neues Lieblingswort zu schreien. Richtig! Zu schreien! Ein einfaches Flüstern wäre deutlich sanfter und schonender für meine Nerven gewesen. Aber ein kleiner Germano-Italbaner, der immer wieder „opa!“ durch die Gegend brüllte, war auch sehr unterhaltsam. Dabei meinte er nicht den Großvater. Viel mehr benutzte er das Wort im griechischen Sinn. Woher er es aufgeschnappt hatte oder ob es ein kindlich ausgesprochenes „Hoppla!“ war, wissen wir nicht. Auf alle Fälle war es hauptsächlich laut und wurde von kreiselnden Bewegungen im Bett unterstrichen.
Wir frühstückten. Die Herren Brot mit Butter und Marmelade. Ich machte mich über die restlichen und gestrigen Zimtschnecken her, die Turtle uns mitgebracht hatte. Durch den hohen Zuckergehalt bäumte sich so etwas wie meine letzte Lebenskraft auf und ich war bereit, das Kind zu bespielen. Ein bisschen Bausteine, ein bisschen Bücher, ein bisschen Wasserflaschen aufeinander bauen waren bei diesem gewittrig-wolkigen Wetter ein schönes Unterhaltungsprogramm.
Als Signorino die Legosteine nur noch durch die Gegend warf, beschlossen wir, dass die Spielstunde jetzt vorbei ist. Doch das wollte Signorino nicht gelten lassen. Stattdessen besuchte er seinen Vater im Badezimmer, der gerade eine Gesichtscreme auf der anspruchsvollen Männerhaut verteilte. Signorino, bewaffnet mit zwei Legosteinen, rot und gelb, stiefelte am Römer vorbei und steuerte auf die Toilette zu, deren Deckel offenstand. Mit voller Wucht versenkte er seine zwei Bausteine und rief sein griechisches „OPA!“. Der Römer antwortete mit einem „Ma che cavolo stai facendo? [Was zum Teufel machst du da?]“ und starrte in das weiße Keramik-WC. Da lagen sie: Zwei Legosteine. Am Grund der Schüssel wie ein sehr farbiges, versunkenes Schiff. „Amore!!! [Liebling!!!]“ schrie er ins Wohnzimmer, wo ich entspannt einen Fingerhut voll ungezuckerten Espresso trank. Ich überlegte, ob ich seinen Ruf noch ignorieren könnte, doch er setzte ein weiteres, deutlich lauteres „Amoooore!!“ nach. „Jaaahaaaa!“ tönte es aus mir. „Wie viele Legosteine hatte Signorino in der Hand?“ brüllte der Römer fragend ins Wohnzimmer. Sie wissen, ich bin durchaus eine (über)besorgte und stets um das Wohl des Kindes bemühte Mutter, aber mein Helikopter-Eltern-Dasein hört auf, wenn es darum geht, ob das Kind nun zwei oder drei Legosteine in der Hand hatte, als es den Raum verließ und Richtung Badezimmer steuerte. Ich stand auf, stellte meine leere Espressotasse auf dem Esstisch ab und schlenderte zum Badezimmer. Dort angekommen, lehnte ich mich mit verschränkten Armen in den Türrahmen. „Keine Ahnung. Zwei vielleicht?“ antwortete ich dem Römer. Signorino stand neben der Badewanne und beobachtete die Szene aufgeregt. Der Römer zog sich die gelben Gummihandschuhe an und tauchte damit ins WC ein. „Che schifo! [Wie eklig!] „, stöhnte er, gefolgt von einem „Ich spüre nur zwei Steine.“ Da der Römer sich meistens vehement wehrt, das Badezimmer zu putzen, sah ich durch Signorinos klugen Schachzug meine Chance gekommen. Er fischte die Legosteine aus der Kloschüssel und beförderte sie nach draußen. Ich stand mittlerweile mit einem Lappen und WC-Gel neben dem Römer. „Wenn du schon dabei bist, dann mach das WC doch gleich richtig sauber. So sparen wir uns einen Arbeitsschritt.“ flötete ich und der Römer funkelte mich an. „Ma mi prendete tutti in giro o…? [Wollt ihr mich alle verarschen oder….?]“ patzte er zurück. „Aber nein! Wir wollen nur keine Synergien ungenutzt lassen.“ erwiderte ich grinsend, schnappte mir Signorino und steuerte aus dem Bad. „Opa?“ fragte mich unser Sprössling. „Ja, aber nächstes Mal lieber mit einem Blatt Klopapier als mit zwei Legosteinen.“ gab ich zurück.

Nach fünfzehn Minuten kam der Römer aus dem Badezimmer. „È tutto pulito. [Es ist alles sauber.]“ erklärter er mir. Ich nickte fröhlich. Dann schnappte ich mir Signorino und trottete mit ihm ins Schlafzimmer. Leider leidet das Kind heute unter einem „müder Geist, wacher Körper“-Syndrom. Dreißig Minuten tollte er im Bett umher, fiel dabei beinahe dreimal von Selbigem und kommentierte es – mal wieder – mit seinem Universalwort „opa!“. Dann brach ich das Experiment, ihn zu einem Mittagsschläfchen zu bewegen, ab.
Da wir nicht wussten, ob ein Spaziergang mit müdem Kleinkind Sinn machte oder nicht, blieben wir daheim. Nach einer Stunde hatte der Römer genug und versuchte abermals den Ableger ins Bett zu bringen. Vermutlich war der Versuch schon zum Scheitern verurteilt, als er ihm Kinderlieder-Videos auf dem Handy vorspielte. Selbst ich würde bei einem gut gemachten „La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu“ eher mitsingen und -klatschen, als an einen Mittagsschlaf zu denken. Und genau so kam es auch. Daraufhin stritten sich die beiden Herren, weil der Große wollte, dass der Kleine endlich schläft. Der Kleine aber wollte Kinderlieder-Videos sehen. Warum auch nicht? Der Große hatte schließlich damit angefangen. Am Ende motzte der eine auf Italienisch und der andere schmetterte ihm ein zu tiefst verärgertes „OPAAAAAA!!!“ entgegen.
Ich eilte ins Schlafzimmer und trennte die beiden Dickköpfe voneinander, als der Einjährige dem Einundvierzigjährigen gerade mit seiner Patschehand auf die Erwachsenen Hand schlagen wollte. Rasch griff ich mir den kleinen Querulanten, der nun in meinen Armen versuchte, dem Großen nachzutreten. „Niemand sagt dir, dass das mit einem Kind so kompliziert ist.“ seufzte der Römer. Dann packte ich den Satz aus, an den sich alle Eltern tröstend klammern: „Es ist nur eine Phase, Schatz!“ Er schüttelte resigniert den Kopf. „Und wie lange dauert diese Phase?“ wollte er von mir wissen. Ich prustete los und gab augenzwinkernd zurück: „18 Jahre mindestens.“ Der Römer stöhnte, griff sich an den Kopf und sprach geschafft: „Spero di no. [Ich hoffe nicht!]“
„Opa!“ unterbrach der kleine Pseudo-Grieche Signorino unser Gespräch und riss fröhlich die Arme nach oben. Dann lachte er laut. Wir stimmten müde mit ein.
P.S.: Weiterhin hoffen wir, dass es tatsächlich nur zwei Legosteine waren, die Signorino versenkt hat. Aber das werden wir ganz sicher herausfinden. Zum Beispiel, wenn uns morgen das WC überläuft und wir den Klempner rufen müssen.
P.P.S.: Falls Sie sich fragen, wie mein Plan für heute gelautet hätte: Die kurze, so wie hoffentlich wohlschmeckende Antwort hätte „Profiteroles“ geheißen. Nun denn, vielleicht morgen? Vielleicht nächste Woche? Vielleicht zu Signorinos 30. Geburtstag? Wer weiß das schon. Ich lasse mich auf alle Fälle überraschen.
Das erinnert mich an das bayerische Wort eppa, was man in der Grundbedeutung durchaus mit etwa gleichsetzen kann. Ich erinnere mich aber an Begegnungen in Niederbayern, wo eppa eine Art Universal Wort ist. Es kann je nach Betonung ja, nein, was sonst?, hallo, auf wiedersehen, noch ein Bier bitte, Geschlechtsverkehr, vielleicht, wie war Dein Tag, Schatz? oder Sie sind aber nicht von hier, oder? bedeuten. Und vieles mehr. Wie gesagt: auf die Betonung kommt es an!
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😂😂 Da hast du absolut Recht. Dass mir das nicht selbst aufgefallen ist. Eppa bedeutet auch „jemand“, wie in „Do hot eppa o‘gruafa.“ 😄
Die griechische Version fand ich exotischer, aber naheliegender ist die niederbayerische. 😄
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„Opa! I kardia mou i soropa“ (Opa! Mein Herz der Sirup) war eines der ersten Lieder, die ich von meinem damaligen griechischen Freund, später und bis heute Mann lernte. Für den Signorino und Pseudogriechen sicher eine gute Einschlafhile 😉
Der Text im Original
Άλα, άνοιξε κι άλλη μπουκάλα
και την κοινωνία τώρα
τηνε παίζω ένα παρά
βίβα, τα φαρμάκια που ‘ταν στίβα
ποτηράκι ποτηράκι
λες και κάνανε φτερά
βάνε, όσα έρθουν κι όσα πάνε
που θα βρούμε τέτοιο βράδυ
στη ζωή μας τη ρηχή
δώσε, το τραπέζι ξαναστρώσε
φέρε καθαρά ποτήρια
κι άντε φτου κι απ’ την αρχή
Ρώτα, το κορίτσι πρώτα πρώτα
τι γουστάρει να του παίξεις
μπουζουξή μου σεβνταλή
βάρα, την κρυφή σου την λαχτάρα
που ίσως να ‘ναι η αγάπη
το πιοτό ή το φιλί
ώπα, η καρδιά μου η σορόπα
σάμπως και θα σπάσει απόψε
και στα δέκα θα κοπεί
φτου σου, οι πενιές του μπουζουκιού σου
μου επήρανε τα ρέστα
και μ’ αφήσανε ταπί
Άλα, έχω στρώσει μια κεφάλα
και τα βλέπω όλα σαν μπέης
και τα νιώθω σαν Πασάς
άιντε, στα ποτήρια ξανά βάλτε
κι άιντε βίβα μου κι εμένα
κι άιντε βίβα σας κι εσάς
σβήνω, πω πω Θεέ μου τι θα γίνω
αγκαλιά μου το κορίτσι
και τριγύρω τα βιολιά
σπάσ’ τα, κι όλα ας γίνουνε ανάστα
και μπαρντόν αν μπουμπουνίσει
και καμία τουφεκιά
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He, ich hatte hier einen Kommi geschrieben, wo ist er?
das Lied „Opa, i kardia mou i soropa“ (Opa, mein Herz der Sirup) war eins der ersten Lieber, die mein späterer Mann mir beibrachte.Für den Pseudogriechen als Einschafhilfe 😉
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nun sind sie beide da, kannst den einen ja löschen.
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Liebe Gerda, WordPress ist doch ein Schlitzohr! Die griechische Schrift schreckte anscheinend den automatischen Spam-Filter so ab, dass der Kommentar fälschlicherweise dort landete. Ich konnte ihn aber befreien und habe mich über beide Kommentare sehr gefreut. Das Kind übrigens auch. 🕺🏻 Er tanzte zu deinem griechischen Lied und wippte begeistert auf und ab. An Schlaf war bei unserem germano-italbanischen Partymodell natürlich nicht zu denken. 😉 Ich sang begeistert mit und der Römer verbesserte mein Griechisch. Da blieb bei ihm wohl damals, mit 18 Jahren bei der Melonenernte in Griechenland, doch etwas an Griechisch-Sprachkenntnissen hängen.
Auf alle Fälle danken wir dir für diesen griechischen Ohrwurm. 😃 Liebe Grüße aus Frankfurt, Eva
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Na dann- einen tollen Pfingstmontag💛 mit möglichst wenig „opa“ (obwohl schon irgendwie süß😊) …
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😄 Das wünsche ich dir auch! 💛
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Opa!
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