
Bitte tun Sie mir den Gefallen und verurteilen Sie mich nicht auch noch. Ich fühle mich schon von ganz allein vom Schicksal betrogen. Wie ich nur ein Jahr später auf dem Boden herumkrieche und mit einem Tischstaubsauger glutenfreie Bio Maisstangen und Demeter zertifizierte Reiswaffeln mit Apfel-Mango Pulver einsauge, schäme ich mich über meine oft gehässigen Kommentare über die weit verbreitete Helikopter-Elternstaffel.
Wissen Sie, man macht sich so lange über Eltern lustig bis man selbst Kinder hat. Dann lacht sich das Schicksal ins Fäustchen und guckt mit einer großen Tüte Popcorn zu wie man so wird wie „die anderen“.
Plötzlich unterhält man sich über die Farbe und Beschaffenheit des Baby Stuhlgangs – während man isst. Man backt zuckerfreie Waffeln auf Bananenbasis (gar nicht mal so schlecht!) und jedes mal, wenn man in seinem chemie- und schadstofffreien Universum hockt und selbst gekochte Gemüsebällchen vom TÜV zertifizierten Babyhochstuhl schrubbt, steht der Römer hinter einem und sagt Schokolade kauend: „Als ob deine und meine Eltern so viel Aufwand betrieben hätten wie du! Bei all den Kindern wäre das auch gar nicht gegangen. Abgesehen davon hätte meine Mutter auch gar keine Zeit gehabt für solche Spielereien. Abbiamo mangiato la pappa – e basta. [Wir haben Brei gegessen – und das war’s] Wer den nicht wollte, der hat Pech gehabt. Irgendwann isst das Kind schon, wenn es Hunger hat.“
Ich blicke vom Boden auf, nachdem ich die Jagd nach dem letzten Krümel beendet habe und lasse den Staubsauger aufheulen. Das sollte Antwort genug sein. Doch der Römer verstand meine Drohung nicht.
„Veramente, amore! [Wirklich, Schatz!] Wir sind so übervorsichtig. È assurdo! [Das ist absurd] Wir sollten uns einfach mal entspannen. Ganz besonders du, elicottera. [Helikopterfrau]“ setzt er seinen unerwünschten Monolog fort.
„Ok. Danke.“ antworte ich knapp und überprüfe nochmal, ob das Babyphone auch wirklich an ist.
„Zum Beispiel auch mit diesem Babyphone in unserer kleinen Wohnung. Sowas gab es bei uns gar nicht. Irgendeiner hat mich dann schon gehört, wenn ich laut genug geschrien habe. Wir versklaven uns für Signorino. O in altre parole: è troppo! [Oder mit anderen Worten: Es ist zu viel!]“ erklärt er – immer noch Schokolade kauend.
„Hm…“ gebe ich zurück. Durch das ständige Hinterherrennen und Verbote aussprechen an Signorino habe ich keine Energie mehr mich zu langen und breiten Diskussionen hinreißen zu lassen.
„Nein….Nein…Nein…Nein…Nein….Da…Da.“ tönt es aus dem Babyphone. Signorino ist wach. „Ah siehst du! Un’altra cosa! [Eine andere Sache!] Das erste Wort unseres Kindes ist nein, weil es das den ganzen Tag von dir hört. Vielleicht solltest du deine Sätze etwas positiver formulieren.“ kommentiert der Römer weiter und isst schlussendlich das letzte Stück Schokolade der Packung. Er knüllt das bunte Papier zusammen und versucht es in den Mülleimer zu werfen. Es gelingt ihm und er ruft laut jubelnd: „Siiiiiii!“
„Si am Arsch.“ murmle ich und gehe – genervt von seinen Ratschlägen – zu Signorino um ihn aus dem Bettchen zu befreien.
„Scusa? [Entschuldige?]“ fragt der Römer, doch ich war bereits im Schlafzimmer und auf meinem Erziehungsratgeber Ohr taub.
Später, am Nachmittag, gehen wir einkaufen, nachdem wir den Spaziergang mit Signorino beendet haben. Angekommen im großen Supermarkt begutachte ich das Gemüse. Ich greife nach einer Avocado und der Römer fragt mich, ob diese für Signorino sei. „Ja, ist im Angebot.“ gebe ich in den Einkauf vertieft zurück.
„BIST DU VERRÜCKT?!?!“ überschlägt sich seine Stimme. Ich gucke ihn irritiert an. „Die ist doch gar nicht BIO?!?!“ spricht’s, nimmt sie mir aus der Hand und legt sie zurück. „Damit kann gerne eine andere Mutter ihr Kind vergiften, aber nicht du. Du bringst den kleinen Kerl noch um.“ sagt er und fährt mit Signorino im Buggy schnurstracks in die Bio Abteilung. Dort zieht er sein selbst mitgebrachtes Obstnetz aus Bio-Baumwolle aus der Jackentasche und füllt unter allergrößtem Argwohn gegenüber den anderen Gemüsesorten eine Avocado ein. „Seit wann hast du ein eigenes Obstnetz?“ frage ich entgeistert. „Ach das….“ sagt er und denkt, ich würde nicht weiter nachhaken. Aber nicht mit mir, mein Freund! Nach einigen Sekunden des sinnfreien Herumstotterns, platzt es aus ihm heraus: „Ich bin einfach kein Fan davon, wenn das Gemüse meines Sohnes mit Plastik in Berührung kommt. È troppo pericoloso.[Das ist viel zu gefährlich] Da habe ich kein gutes Gefühl dabei. Wenn wir schon nicht regional kaufen, dann wenigstens bio!“
Ich grinse nur und sage: „Also mit diesem Obstnetz für unseren Sohn… Das hätte es früher bei uns nicht gegeben. Deine Mutter hätte das sicher nicht mitgemacht bei euch Kindern und -bei aller Liebe- wir sind so übervorsichtig, das ist doch ABSURD! Assurdo!! Wo wäre sie denn da hingekommen, wenn jeder ein eigenes Obstnetz gehabt hätte? Und BIO!!! Also nein, wir versklaven uns doch für unseren Sohn. Du solltest dich mal entspannen. Einfach mal alles ein bisschen sportlicher sehen. Und vielleicht solltest du auch einmal positiver auf andere Gemüsesorten und Anbauweisen herangehen. Du bist in letzter Zeit so negativ.“
Er funkelt mich an und setzt seinen Einkauf fort. Wir sprechen kein Wort, nur Signorino tönt „Nein, nein, nein, da, da, da.“ durch die Gänge.
„Zahlst du oder zahl ich, elicottero?“ frage ich ihn provozierend an der Kasse. Er rümpft nur seine Nase und holt seinen Geldbeutel heraus. „Und die Treuekarte nicht vergessen! Diese Woche gibt es achtfach Punkte.“ flöte ich. Er verdreht genervt die Augen und verstaut eine Packung Bio Maiswaffeln – demeter zertifiziert.
Daheim angekommen ruft er in Albanien an. Erstaunlich oft hört man das Wort „bio“ aus seinem Mund und dem Mund seiner Mutter. Als er auflegt, kommt er triumphierend auf mich zu: „Ha! Vedi! [Siehst du!] Alles war bio!“ Fragend blicke ich von Signorinos angekauten Bauklötzchen auf. „Ich habe gerade mit meiner Mutter telefoniert und alles war bio. Nur Obst und Gemüse aus eigenem Anbau bekam ich damals. Alles war frisch geerntet aus Omas Garten.“ erklärt er. „Aha. Na dann.“ gebe ich wenig interessiert zurück. „Ich wollte es dir nur sagen, weil du mich elicottero genannt hast. Und das bin ich nicht.“ weist er mich auf mein „Vergehen“ hin.
Ich lege einen Holzwürfel zur Seite, hole tief Luft und erkläre dann: „Schatz, nun sind wir doch mal ehrlich: Wir sind beide elicotteri – aus dem einfachen Grund, weil Signorino unser erstes und einziges Kind ist. Wir haben keinerlei Erfahrung und wollen alles perfekt machen. Hätten wir hier noch zwei andere Kinder herumhüpfen, wäre die Zeit auch deutlicher knapper um sich über solche Details Gedanken zu machen. Einigen wir uns einfach darauf, dass jeder von uns – auf unterschiedliche Art und Weise – ein elicottero ist.“
„Va bene! [In Ordnung] Aber du etwas mehr.“ merkt er an. Wir müssen beide lachen. „Wenn du dich damit besser fühlst: sehr gerne!“ stimme ich zu.